Samstag, 9. April 2011

Jiujiang, den 09. April 2011

Moin Moin!
Keine 80 Tage verbleiben und passend dazu, bricht der Frühling so richtig aus.
Nachdem es in den letzten Wochen gewohnheitsgemäß auf und ab gegangen war, liegen die Temperaturen jetzt gefestigt über 20 Grad Celsius. Plötzlich scheint hier tatsächlich etwas wie Leben einzukehren. Die wenigen Bäume, die im Winter ihre Blätter abgeworfen haben, treiben wieder aus und alles blüht. Sogar das sonst so braun-gelbe Gras wird zu etwas, das man durchaus grün nennen kann.
Dass Datenschutz nicht gerade die größte Spezialität Chinas ist, ist allgemein bekannt. Allerdings ist es schon erschreckend beeindruckend, wie schnell sich hier persönliche Informationen verbreiten. Da bekomme ich doch vor einigen Wochen ein SMS von einer unbekannten Nummer mit dem Inhalt „Hey boy“. Auf die Frage, wer denn der geheimnisvolle Absender sei, erreicht mich eine Antwort, in der übersetzt steht „Du kennst mich wahrscheinlich nicht, aber ich möchte mit dir befreundet sein.“ Einige Nachrichten später stellte sich dann heraus, dass die Person ein Mädchen aus unserem „Abiturjahrgang“ ist, die meine Nummer über eine Freundin hat. Das ist mir bis heute ein Rätsel, denn aus ihrem Bekanntenkreis hat niemand meine Nummer. So kann das hier gehen.
Als mich ein Essenspaket aus der Heimat erreichte, war die Freude groß. Deswegen würde gleich ein paar Tage später gekocht. Kartoffeln, grüne Bohne, Rotkohl und eine Maggi-Soße. Das war gar nicht so einfach mit nur zwei Gaskochstellen, von denen eine nicht wirklich funktioniert. Letztendlich hat es aber doch äußerst gemundet, auch wenn es seltsam war, ein so deutsches Essen mit Stäbchen zu verputzen. Meiner Gastfamilie scheint es auch geschmeckt zu haben, auch wenn sie mehr gelacht als gegessen haben. Geviertelte Kartoffeln, Bohnen, Rotkohl und Soße auf einem Teller sind ja auch schon etwas Lustiges.
Zwei kleine Entdeckungen bescherten uns ein unglaubliches Frühstück, als ein Franzose und eine Dänin zu Besuch waren. Es gibt hier doch tatsächlich eine „Bäckerei“, die frischgebackenes Baguette verkauft. Die zweite Entdeckung war jedoch viel imposanter. In der letzen Ecke eines Supermarktes verstecken die doch wirklich Erdnussbutter, Marmelade und nutella. So saßen wir vier Europäer in der Bäckerei mit vier Baguettes, Blaubeermarmelade, Erdnussbutter und nutella. Jetzt brauchten wir doch nur noch Messer. Nichts leichter als das – wäre man in Deutschland! Aber in China hat man es nicht so mit Messern, hier gibt es nur das große Hackbeil zum Zerstückeln von Fleisch mit Knochen. Als Antwort auf unsere Nachfrage gab ein Angestellter uns einen kleinen Plastiklöffel und eine Plastikgabel. Man könne die Gabel ja umdrehen und zum Schmieren verwenden. Ja, ne ist klar. Wäre der/die/das nutella nicht so unglaublich hart gewesen, hätte es ja auch funktionieren können. Zumindest war es vermutlich das unterhaltsamste Frühstück aller Zeiten.
Seit der Entdeckung des Baguettes statten wir besagter Bäckerei immer mal wieder einen Besuch ab und essen einfach nur ein trockenes Baguette. Dabei ist mir aufgefallen, dass man chinesisches Essen nicht kauen muss. Die Gerichte hier sind meistens so klein oder weich, dass man nicht wirklich kaut. Es wird ein bisschen mit der Zunge darauf herumgedrückt und dann einfach geschluckt. Dementsprechend kann so ein einfaches Baguette ganz schönen Muskelkater auslösen. Ich werde die verbleibenden elf Wochen fleißig trainieren, damit ich für Deutschland gewappnet bin.
In den letzten Wochen werden die weltweiten Nachrichten selbstverständlich von einem Land dominiert: Japan. Es ist unfassbar schrecklich, was dort passiert ist und immer noch passiert und mein Mitgefühl gilt den Opfern dieser Katastrophe. Vermutlich vertritt jedes Land dieses Planeten dieselbe Meinung – außer China. Was ich hier die letzten Wochen für Kommentare und Reaktionen miterlebt habe, ist wirklich erschreckend. Es gibt hier kaum Menschen, die so denken, wie wir. Natürlich sind China und Japan aufgrund der Geschichte alles andere als gute Freunde, aber irgendwo muss man mal auch eine Grenze ziehen. Als mein Bruder am Tag des Unglücks an den Essenstisch kam, erzählte er gerade von den Nachrichten und dem schweren Seebeben vor Japan und das Einzige, was meiner Mutter in dem Moment einfällt, ist: „Wir hatten vor ein paar Tagen in der Provinz Yunnan auch ein Erdbeben mit einer Stärke von 5,8.“ Kein Funken Mitgefühl. Damit verhält sich meine Mutter wie die meisten Chinesen. Andere reagierten sogar noch extremer und sagten: „Ach, die Japaner haben das verdient!“ Bei solchen Äußerungen fehlt mir jedes Verständnis. Egal, was in der Vergangenheit passiert ist, so etwas denkt man nicht mal! Als ich eine Freundin aus meiner Schule nach ihrer Meinung zu der Katastrophe gefragt habe, sagte sie, es sei schrecklich, was ist Japan passiere, allerdings sei sie Chinesin, deswegen möge sie Japan nicht und es sei ihr gleichgültig. Die Schüler scheinen zu wissen, dass es in Japan Probleme mit einem Atomkraftwerk gibt, jedoch wirkt es so, als wüssten sie nicht über die Gefahren der atomaren Strahlung Bescheid.
Kommen wir wieder zu einem etwas erfreulicheren Thema: Käse. Käse?, mögen sich jetzt einige fragen. Ja, Käse. Wir waren vor einer Woche in Nanchang und dort gibt es eine Metro, also die Großhandelskette. Dort haben wir uns erst einmal ordentlich mit westlichen Produkten eingekleidet. Unteranderem auch Käse, denn den gibt es in China nicht. Jetzt mögen sich wieder einige fragen: Und mit was belegen die Chinesen sich dann ihre Brote? Ganz einfach: Mit Nichts, denn Brot isst man hier nicht, wie bei uns. Es gibt hier etwas Weißbrotähnliches mit Unmengen an Zucker, aber das gilt eher als Süßigkeit, nicht als Mahlzeit. So sitze ich jetzt täglich mit meinem holländischen 3-Kilo-Edamer auf meinem Bett und lasse es mit so richtig gutgehen. Außerdem gibt es noch Salzstangen, Leibniz-Butterkekse, Zwieback, Salami, Müsli und Gewürzgurken. Als ich meiner Mutter ein Stück Käse anbot, war ich äußerst gespannt, was sie antworten würde. Vermutlich ist Edamer nicht der beste Käse zum probieren, da er relativ stark ist, aber das lässt sich nun mal nicht ändern. Das Gesicht verzog sich und die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: 不好吃 (bu hao chi), was so etwas heißt wie: „Schmeckt nicht gut.“ Ich konnte nicht anders und musste einfach lachen.
Es gibt wieder Neues aus der hochgeschätzten chinesischen Duplikatsindustrie. Da hätten wir zum Beispiel die geachteten Handys von PHILIDS und PNILIDS. Außerdem gibt es elegant schlichte Handtaschen von Bior und Jacken von abibas. Immer wieder unterhaltsam.
Chinesische Kleinkinder brauchen keine Windeln, man öffnet ihnen einfach die Hosen. So sieht man überall kleine Kinder mit zerschnitten Hosen herumlaufen. Denen ist es dann auch erlaubt sich überall zu erleichtern. Straße, Laterne, Wohnzimmer, Supermarkt. Alles kein Problem. So auch mein jüngster Cousin, der es sich wohl zu Lebensaufgabe gemacht zu haben scheint, mir ans Bein zu pinkeln. Jedes Mal, wenn ich mich in der Wohnung befinde, in der er wohnt, versucht er mich anzupinkeln. Bisher hat er es allerdings erst zweimal geschafft. Einmal gab es nur einen Streifschuss am Hosenbein, weil ich rechtzeitig wegziehen konnte; das andere Mal tränkte er jedoch meinen kompletten Schuh. 1:0 für ihn.
Das Verhältnis zwischen Jungs und Mädchen im Teenageralter in China ist nicht zu vergleichen mit dem in Deutschland. Ein Satz meines 16-jährigen Bruders bringt das ziemlich gut zum Ausdruck. Er hatte seiner Mutter gerade etwas aus der Schule erzählt und sie ihn gefragt, was denn seine Mitschülerin darüber denke. „Weiß ich nicht. Sie ist ein Mädchen, mit ihr rede ich doch nicht!“ Eine feste Freundin oder einen Freund hat der durchschnittliche Chinese erst nach der Schule, das heißt frühestens in der Universität. In der Schulzeit muss man sich ganz aufs Lernen konzentrieren, denn sonst bekommt man keine guten Noten, und jeder weiß: keine guten Noten = kein guter Abschluss, kein guter Abschluss = keine gute Universität, keine gute Universität = kein guter Job, kein guter Job = kein Geld und kein Geld = kein glückliches Leben. So einfach ist das. Deswegen hat man natürlich besseres zu tun, als eine Freundin zu haben. In Deutschland würde so etwas wahrscheinlich erst besonders dazu führen, dass jeder eine Freundin oder einen Freund hätte. Es liegt in der Natur eines Jugendlichen Grenzen auszutesten und zu überschreiten. In China ist das allerdings nicht der Fall.
Chinesen sind unglaublich langsam. Wenn ich auf unterwegs bin, dann gehe ich im Slalom um alle herum. Wenn langsames Gehen olympisch wäre, wäre China unangefochtener Weltrekordhalter. Es ist wirklich unglaublich, wie langsam die gehen können. Ich hab es mal versucht, mich einfach so mittreiben zu lassen, das endete allerdings darin, dass ich jedem in die Hacken getreten bin.
Wenn es in Deutschland etwas geben sollte, das die Anzahl der Einwohner übertreffen sollte, dann wären es vermutlich Handys. In China sind es definitiv die Regenschirme und Atemschütze. Überall laufen die Menschen mit Stoffmasken vor dem Mund herum. Sie sind weiß, beschrieben oder im Hello Kitty Muster. Aber hat ja auch einen großen Vorteil, zum Beispiel muss man, wenn man krank ist, nicht wegen der Ansteckungsgefahr zu Hause bleiben. Man setzt sich die Maske auf, geht in die Schule und verpasst glücklicherweise keinen Unterrichtsinhalt. Das andere sind die Regenschirme. Sobald ein Tröpfchen vom Himmel fällt, gehen überall die Schirme auf. Jeder Mensch läuft mit einem Plastikdach über dem Kopf herum. Da wird es so gut wie unmöglich sich auf den sowieso schon überfüllten Gehwegen fortzubewegen, ans Slalomgehen gar nicht zu denken.
Jede Klasse muss ihren Raum selber putzen. Jeden Tag wird mit dem Besen durchgefegt und jeden Freitag oder Samstag einmal alles durchgewischt. Wir Ausländer müssen das in unserem Klassenraum natürlich auch machen, allerdings ist das Erste, was man beim Eintreten denkt: Puh, das wird aber ordentlich vernachlässigt. Aber wer hat auch schon Lust auf so eine Sisyphusarbeit. Es ist hier so dreckig und staubig, dass nach wenigen Minuten schon wieder alles unter einer dicken Staubschicht liegt.
Anfang dieser Woche war ein Fest zu Ehren der verstorbenen Menschen. In China besucht man nämlich nur einmal jährlich und das immer zum gleichen Zeitpunkt den Friedhof. In die Gräber, die eher an Hügelgräber mit Grabsteinen erinnern, werden Plastikblumen gesteckt. Außerdem verbrennt man eine Menge Papiergeld und legt Obst vor die Gräber. Zum Schluss verbeugt man sich dreimal vor dem Grab. Danach wird gegessen und das war eigentlich alles, was wir an dem Tag gemacht haben. Die Friedhöfe liegen immer außerhalb der Städte auf dem Land. Da es an dem Tag ziemlich windig war, war das einzige, das man hörte, das Rauschen und Flattern der Plastikblumen und –fahnen im Wind.
Vor wenigen Tagen sah ich im Badezimmer irgendetwas hinter eine Leiste krabbeln. Also bin ich wieder raus und habe meine Kamera geholt – man weiß ja nie. Meine Mutter fragte nur verwirrt, was ich denn mit der Digitalkamera auf dem Klo wolle. Verständlich. Mittlerweile war das Tier herausgekommen und es stellte sich heraus, dass es eine knapp fünf Zentimeter lange Kakerlake war. Sofort holte meine Mutter eine Schere, um das Tier zu töten. Allerdings sind Kakerlaken verdammt schnell und so ereignete sich eine amüsante Verfolgungsjagd. Irgendwann lief sie, die Kakerlake, an einer senkrecht verlaufenden Glasscheibe entlang. Meine Gastmutter erwischte ein Bein, die Kakerlake verlor die Haftung, fiel und verschwand in Richtung Wäscheberg. Daraufhin zuckte meine Mutter einmal mit den Schultern und sagte: „Ach egal.“Ich werde mich jetzt mal an den Essenstisch begeben, denn das Abendessen steht an. Hühnerfüße mit Schweinefüßen und Reis. Mhm ich kann es kaum erwarten.
Liebe Grüße aus dem blühenden Süden.

Euer Joshy!

Sonntag, 27. Februar 2011

Jiujiang, den 27. Februar 2011

你们好!
Zuerst möchte ich mich entschuldigen, dass seit dem letzten Bericht nun schon knapp drei Monate vergangen sind. In den letzten achtzig Tagen ist so einiges passiert. Fange ich mal mit dem 12. Dezember an.
Wie schon das letzte Mal angekündigt sollte es ein nicht gerade trockener dritter Advent werden. Laut Wetterbericht fielen 20 bis 40 Liter Regen pro Quadratmeter. Da ließ die Vorweihnachtsstimmung etwas zu wünschen übrig. Die folgenden drei Tage floss das Wasser in der ganzen Stadt gemächlich ab und die Sonne trocknete die nassen Straßen. Bis zum Donnerstag! Als müsse uns das Wetter noch einmal beweisen, dass es hier macht was es will, lagen plötzlich zehn Zentimeter Schnee. Jiujiang im Ausnahmezustand! An den Straßenrändern stauten sich hunderte Meter lang die Lastwagen, da sie nicht auf die zugeschneiten Autobahnen gelassen werden durften, die Busse schlichen mit geschätzten zehn km/h Spitze durch die Stadt und in der Schule wurden plötzlich die Heizungen (Klimaanlagen) angeschmissen. Als Deutsche kennen wir diese Grundsituation ja schon ziemlich gut. Die Winter werden kälter, Schnee und Eis nehmen zu und trotzdem sind wir alle immer wieder aufs Neue total überrascht wenn der erste Schnee fällt und der Verkehr zusammenbricht. Jetzt stelle man sich dieses Szenario jedoch mal in einer Stadt vor, in der es im Sommer bis zu 45 Grad über null sind und kein Streudienst existiert. In der Schule hatte man wegen des ersten Schnees sogar die roten Teppiche ausgerollt, auch wenn das nur ein Schutz gegen die Rutschgefahr war. Als ich dann völlig durchnässt mit meinen grauen Lacoste-Stoffschuhen wieder zu Hause ankam, hatte meine fürsorgliche Gastmutter bereits dicke Winterschuhe und zwei paar lange Unterhosen gekauft. Wieso denn auch nicht! In der kommenden Nacht kamen noch ein paar Zentimeter Schnee dazu, sodass Bart und ich den Schülern aus China, Thailand und Italien erst einmal zeigen mussten, wie eine richtige Schneeballschlacht funktioniert. Nachdem uns der Schulfotograf dann auch noch auf gefühlten zweihundert Bildern festgehalten hatte, durften wir endlich wieder in unseren warmen Klassenraum. Für Tashi, den Taiwanesen, und Phakdee, den Thailänder, war es der erste Schnee in ihrem Leben. Schon seltsam. In den letzten zwei Wochen des Jahres hielten sich die Temperaturen relativ konstant zwischen 15 Grad über und unter null.
Weihnachten war schon eine äußerst bizarre Angelegenheit. Ein paar Tage im Jahr, an denen man mit der Familie und den Menschen, die einem wichtig sind, zusammen ist und sich gegenseitig etwas schenkt. Und natürlich nicht zu vergessen: Das Weihnachtsesssen! Dieses Jahr war da nur dieser kleine Unterschied, dass ich 10.000 Kilometer entfernt in einem Land bin, wo man Weihnachten gar nicht wirklich kennt. Auch wenn ich, meiner Ansicht nach, immer jemand war, der ohne Weihnachten und Stress um die Geschenke hätte überleben können, fehlte da dieses Mal irgendetwas. Zwar hörte man ab und zu „Merry Christmas“ oder vergleichbares, aber das war trotzdem nicht ganz das Gelbe vom Ei. Unsere Schulleitung hatte uns zu einem Essen in ein Hotelrestaurant eingeladen. Die Zeit nach der Schule verbrachten Bart und ich bei mir zu Hause mit ein paar folgen Scrubs und einer heißen Schokolade bei McDonald’s zu Jingle Bells und Rudolph, the Red-Nosed Reindeer. Als es dann am frühen Abend endlich mit einem Kleinbus zum Hotel ging, kam so langsam Weihnachtsstimmung auf. Im Hotel wurde auf einer kleinen Bühne die ganze Zeit irgendetwas aufgeführt. Saxophon, Karaoke, Bodybuilder-Show. Das Beste war definitiv das all-you-can-eat-Buffet, auch wenn es etwas schwer war sich den Appetit zu bewahren, während sich drei eingeölte, halbnackte Chinesen auf einer Bühne präsentieren. Nachdem die Veranstaltung vorüber war, wollten Bart, Tashi und ich uns einen Ort suchen, wo man den Abend angenehm ausklingen lassen konnte. Also landeten wir nach einer ewiglangen Suche in einem Coffee-Shop und unterhielten uns noch für zwei Stunden. Auf dem Weg dahin waren wir direkt einem Journalisten über den Weg gelaufen. Das Foto war gleich am darauffolgenden Tag in der Zeitung. Das Komischste an diesem Tag war jedoch, dass wir zu Schule mussten. Heiligabend in der Schule …
Kurz nach Weihnachten herrschte in Jiujiang richtiges Hundewetter. Es war saukalt! Darauf hatte ich schon seit Wochen gewartet, denn das heißt, dass Hund gegessen wird! Ich würde jetzt zu gerne eure Gesichter sehen. Hund wird im sogenannten 火锅 (huoguo = wörtlich Feuertopf) gemacht. Das ist eine in den Tisch eingelassene Schale, die von unten mit einer Gasflamme erhitzt wird. Darin befinden sich Hund und Suppe, den Rest hat man auf dem Tisch. Auf kleinen Tellern liegen Salate, Pilze, Fleisch, Nudeln, und noch vieles mehr, das nach Belieben in den Topf geworfen und gekocht werden kann. Dazu gibt es noch eine unglaublich scharfe Suppe. Ob ihr es euch im verklemmten Deutschland jetzt vorstellen könnt oder nicht, aber es war das beste Gericht, das ich bisher in China gegessen habe! Das Hundefleisch war im Prinzip wie Rind, nur etwas fettdurchzogener und um ein Vielfaches zarter. Im Nachhinein erzählte mir mein Gastvater dann stolz grinsend, dass wir Welpen gegessen hätten. Das erklärt auch das zarte Fleisch.
An Silvester war kaum etwas los. Auch wenn wir allen Personen, die wir sahen, ein frohes neues Jahr wünschten, wirkten sie doch eher irritiert als dankbar. Zu Beginn des neuen Jahres gab es dann doch tatsächlich drei freie Tage. Leider beliefen sich diese auf Samstag, Sonntag und Montag, aber was soll man machen. Am Dienstag musste ich auch noch zu Hause bleiben, weil ich mir eine ordentliche Erkältung eingefangen hatte. Am Freitag, den siebten Januar stand dann auch mein erster chinesischer Geburtstag vor der Tür. An diesem kompletten Freitag gratulierten mit doch tatsächlich acht Leute persönlich. Ich glaube, das wären in Hamburg sogar mehr, wenn ich mich den ganzen Tag im Haus aufhielte, aber macht ja nichts, dafür habe ich genug E-Mails bekommen. Danke noch einmal. Abendessen gab es in einem Restaurant mit meinen Eltern und meinem Bruder. Am Abend wollten Tashi, Bart, Phakdee, unsere Japanisch Lehrerin und zwei ihrer Freundinnen, die wir schon kannten, ausgehen. Und was liegt da in China näher als die Karaoke Bar? Die Computer dort verfügen auch über englische Lieder, was aber nicht unbedingt ein Pluspunkt ist. So sangen Bart und ich die auf uns zugeschnittenen Lieder: I Will Always Love You von Whitney Housten, My Heart Will Go On von Céline Dion, Everytime von Britney Spears und mein persönlicher Favorit als Duett gesungen Babie Girl von Aqua! Die an dem Abend entstanden Videos dazu, befinden sich aus gutem Grund in einem passwortgeschützten Ordner.
Eine knappe Woche später war es dann endlich soweit. Bart und ich fuhren mit unserer Austauschorganisation, dem American Field Service (AFS), nach 云南. Yunnan ist eine Provinz im Südwesten Chinas. Am Morgen des 13. Januars fuhren wir, weil es von Jiujiang (九江) aus keinen Flug gab, in unsere Provinzhauptstadt Nanchang (南昌). Dort trafen wir am Flughafen auf den Franzosen Pierre und die Dänin Marie, die den gleichen Flieger wie wir nehmen wollten. Von Nanchang ging es also nach Kunming (昆明), die Hauptstadt von Yunnan. In Kunming wurden wir von AFS-Mitarbeitern am Flughafen abgeholt und ins Hotel gebracht. Die nächsten sechs Tage ging es durch die Provinz von einer alten Stadt zur nächsten, zum Beispiel nach Dali (大理) und Lijiang (丽江). In Lijiang bin ich auch endlich dazu gekommen Insekten zu essen. An einem kleinen Stand gab es Heuschrecken, Maden, Mehlwürmer, große Fliegenlarven und etwas zehn Zentimeter langes und undefinierbares. Man kann es sich kaum vorstellen, doch diese frittierten Mehlwürmer schmeckten original wie Pommes! Da sollte sich McDonald’s mal Gedanken drüber machen - vielleicht als neue Auswahlmöglichkeit ins Happymeal? Die Natur in Yunnan war wirklich atemberaubend. Alles stand im kompletten Gegensatz zu Jiujiang. Nehmen wir als Beispiel einmal Kunming. Kunming ist ziemlich groß, hat rund acht Millionen Einwohner, ist relativ modern und extrem sauber. Nach rund fünf Monaten in Jiujiang hatte ich schon wieder ganz vergessen wie sauber Luft riechen kann. Nach dieser Woche wollten wir eigentlich gar nicht mehr zurück. Das Beste an diesen sieben Tagen war natürlich all die anderen Ausländer wieder zu sehen. Wir waren rund einhundert und es war verblüffend, wie ähnlich manche Situationen in ganz China sind. Gegen Ende der Reise war der Großteil der Ausländer krank geworden und auch ich hatte einen ordentlich Schnupfen, Husten, Hals- und Kopfschmerzen. Am 19. Januar ging es für uns gegen Abend zurück zum Flughafen. Nachdem Bart und ich eingecheckt und die letzten Minuten mit ein paar Freunden bei Kentucky Fried Chicken verbracht hatten, mussten wir es zum Gate. Da Pierre und Marie einen früheren Flug gebucht hatten, waren wir nur zu zweit. Auf einer Anzeigetafel hieß es, dass unser Flugzeug eine halbe Stunde Verspätung haben würde. Es wurde später und später. Eine Viertelstunde nach Ablauf dieser Zeit hörte ich geistesabwesend wie eine Flughafenangestellte etwas durch den Wartebereich rief und meinte das Wort „Nanchang“ gehört zu haben. Auf Verdacht schlossen Bart und ich uns der Menge an, die der Dame hinterher hastete. Wir wurden an den anderen Gates vorbeigeführt, passierten den Sicherheitscheck in umgekehrter Richtung und standen wieder vor dem Flughafen. Dort warteten bereits zwei Reisebusse. Der eine war längst voll und in dem anderen kämpften Fluggäste um die letzten Plätze. Um uns kurz zu versichern, fragten wir einen Passagier, der neben uns stand, ob das „unser Flug“ sei und zum Glück viel die Antwort positiv aus. Zwanzig Minuten später kam dann auch endlich der dritte Bus, in dem Platz für die verbliebenen Menschen war. Wir entfernten uns vom Flughafen und keiner wusste so recht, was jetzt passierte. Irgendwann standen wir in einem Stau, der auswegslos zu sein schien. Ein Betonmischer versuchte auf einer viel zu kleinen Straße zu drehen. So standen wir dann 45 Minuten da, ohne uns zu bewegen. Um 20:25 Uhr hätte unser Flugzeug in Richtung Nanchang abheben sollen, doch letztendlich kamen wir um 23:15 in einem Hotel in Kunming an. Dort gab man uns ein Zweibettzimmer, zwei Packungen mit Fertignudeln und die Informationen, dass in Nanchang zu viel Schnee liegt, um zu fliegen, außerdem wisse man nicht, wann es weiterginge. Zum Glück hatte ich ein paar Paracetamol in meinem Handgepäck, sonst hatten wir ja kaum was dabei. Dank der Flüssigkeitsregelungen hat man alle Badezimmerartikel im Koffer und Kleidung ja sowieso. Zwei gesundheitlich angeschlagene Ausländer in einem Hotel in einer anderen Provinz, keine Zahnbürste und keine frühe Aussicht auf einen Rückflug. Unsere Gastfamilien waren natürlich allerbester Laune. Am nächsten Morgen weckte man uns zum Frühstück, aber an Aufstehen war für mich nicht zu denken. Laut Bart sah ich aus „wie eine lebendige Leiche“. Gegen zwei Uhr am Nachmittag hieß dann plötzlich, dass es losginge. Also wieder ab in die Busse und zum Flughafen. Gegen 18:30 landeten wir endlich in Nanchang, wo der Gastvater von Bart auf uns wartete. Die 130 Kilometer zwischen Jiujiang und Nanchang stellten sich als Höllenfahrt heraus. Auf der zugeschneiten Autobahn waren nur gemächliche Geschwindigkeiten möglich und dann geschah auch noch das, was geschehen musste: Ein 30 Kilometer langer Stau „kurz“ vor Jiujiang. Irgendwann kamen wir dann an einer Ausfahrt vorbei, die einfach mal genommen wurde. Die nächsten gut zehntausend Meter führten uns über einen Feldweg parallel zur Autobahn. Das war wohl die schlimmste Autofahrt meines Lebens. Die Schlaglöcher waren so groß, dass wir auf der Rückbank immer wieder bis unter die Decke gefedert wurden. Das ließ die Kopfschmerzen auch nicht gerade verschwinden. Um elf Uhr abends kamen wir dann endlich in Jiujiang an, 24 Stunden später als eigentlich geplant. In Jiujiang waren 30 bis 40 cm Schnee gefallen, was zu einem Schulausfall in der kompletten Stadt geführt hatte.
Die nächsten Tage verbrachte ich krank im Bett. Das war natürlich ein typischer Ferienstart. Die vierwöchigen Winterferien hatten gerade begonnen und ich wurde krank. Erst am 24. Januar traute ich mich für einen Nachmittag bzw. Abend aus dem Haus. Da Tashi’s Rückreise nach Taiwan unmittelbar bevorstand, verbrachten er, Bart und ich den Nachmittag im Billardsaloon und den Abend in einem Restaurant, wo wir uns noch stundenlang unterhielten.
Danach ging die Grippe erst so richtig los! Eigentlich wollten mich ein Fernsehteam und die Zeitung interviewen, aber daran war gar nicht zu denken. In den Nächten bin ich ständig mit Hustenanfällen aufgewacht und tagsüber konnte ich kaum sprechen. Anfang Februar wurde es dann zum Glück ein wenig besser. Das Timing war ziemlich gut, denn vom 2. auf den 3. wurde das chinesische Neujahr gefeiert. Wir waren bei der Mutter meiner Mutter (姥姥). Insgesamt waren 21 Leute anwesend und es gab ein riesiges Mittagessen. Außerdem gab es für alle Kinder die sogenannten 红包 (hongbao). Das sind, wie der Name schon sagt, kleine „rote Beutel“, in denen die Erwachsenen den Kindern Geld schenken. Am frühen Nachmittag sind wir auch noch zu der Familie meines Vaters gefahren, wo es quasi ein zweites Mittagessen gab, was völlig überflüssig war. Danach war ich mir ziemlich sich das es jeden Moment einen lauten Knall geben würde und man meine Reste mit Handfeger und Schaufel zusammenkehren könne. Geknallt hat es auch verdammt laut, aber das aufgrund der chinesischen Feuerwerkskörper. Man kann sich kaum vorstellen, was das für Knallkörper sind! Die deutschen könnte man vergleichsweise im Kindergarten verteilen. Nach dem Abendessen bei 姥姥 fing das „geknalle“ auch bei uns an. Die Batterien von einem knappen Kubikmeter schossen minutenlang Raketen in den Himmel. Außerdem gibt es „Böllerschnecken“, die einen Durchmesser von 80 cm haben. Die werden dann ausgerollt, bis da so eine etwa zehn Meter lange Wurst liegt, die an einem Ende angezündet wird und dann Ewigkeiten knallt. Die Geräuschkulisse um Mitternacht ist jedoch wirklich unvorstellbar. In der kompletten Stadt knallt es und es hört sich an, als würde man sich bei einem Monsunregen unter ein Wellblechdach stellen.
Die anschließenden Tage verbrachten wir damit, uns den ganzen Tag in dem Haus von 姥姥 aufzuhalten. Das bestand im Prinzip darin, dass die Erwachsenen stundenlang 麻将 (majiang = Mah-Jongg) um Geld spielten und ich zuerst Elton‘s „Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen – Zum Glück bin ich keins!“ und dann „Verblendung“ von Stieg Larsson gelesen habe. Mittlerweile waren die Temperaturen wieder auf 22C° angestiegen.
Gegen Ende der Ferien zogen wir wieder in unser altes Haus. Passend dazu musste es natürlich wieder kälter werden. Im neuen Haus verfügen wir unglaublicher Weise über eine richtige Heizung, aber die bringt ja nichts, wenn es warm ist, während man da ist.
Am 14. Februar ging dann leider auch schon wieder die Schule los. Was an diesem Tag jedoch wirklich verblüffend war, war, dass die Straßen am Abend total voll waren! Nach diesem Weihnachtsfest, das unwissend im Hintergrund vorbeigezogen war, hatte ich im Leben nicht erwartet, dass der Valentinstag hier so populär ist. An jeder Straßenecke konnte man Blumen kaufen, was hier sehr ungewöhnlich ist, oder riesige Teddybären gewinnen. Die Fußgängerwege waren so von Pärchen überfüllt, dass es kaum ein Vorankommen gab.
Nachdem sich eine der Austauschorganisationen bei unserer Schulleitung beschwert hat, bekommen wir jetzt richtig Unterricht. 2005 waren die ersten Austauschschüler an unserer Schule und erst jetzt fangen sie richtig an zu unterrichten. Zuerst hat man uns in eine höhere Stufe und bessere Klasse gesteckt. Vorher waren wir in 高一九班 (gaoyi jiuban), das entspricht der neunten Klasse in der zehnten Stufe (also zum Beispiel die 10i) und jetzt sind wir in高二二班 (gaoer erban), was bei uns die zweite Klasse in der elften Stufe wäre. In China ist alles durchnummeriert, das heißt wir sind jetzt in der zweitbesten Klasse unserer Stufe. Unsere Schulleitung begründete das mit der Hoffnung, dass deren Intelligenz und Können auf uns abfärben würde. Na ja, wenn sie meinen. Jedenfalls ist die neue Klasse viel besser als die alte! Die Mitschüler sind älter, netter und reifer. Außerdem bekommen wir jetzt noch richtigen Unterricht. Wir haben jetzt pro Woche zehn Stunden Chinesisch und sechs Stunden chinesische Kultur. Mal sehen, wie das in nächster Zeit wird.
Letztes Wochenende sind Bart und ich ziemlich spontan nach Nanchang gefahren, da Pierre uns gefragt hatte, ob wir nicht vorbeikommen wollen würden. Unsere Eltern haben verblüffender Weise sofort zugestimmt. Also sind wir am Samstagmorgen mit dem Schnellzug nach Nanchang gefahren und haben da den Tag über mit Marie und Pierre verbracht. Nanchang ist echt noch mal eine ganze Nummer größer als Jiujiang und es waren so unglaublich viele Menschen in den Straßen unterwegs. Das war besonders für mich, als Hamburger, etwas unangenehm. Am Abend haben wir bei Pierre geschlafen und sind am Sonntagmittag wieder zurück nach Jiujiang gefahren.
Gestern in vier Monaten werde ich schon in Hamburg landen, das sind 119 Tage oder 17 Wochen. Das ist nicht mehr wirklich viel!
Ich bin jeden Tag wieder aufs Neue froh, dass ich in Jiujiang größer und kräftiger bin als der Durchschnitt, denn sonst hätte ich morgens am Bus schon verloren. Hier scheint jeder davon überzeugt zu sein, dass er nicht mehr in den Bus passt, wenn er nicht als erster drin ist. Dabei ist es völlig egal, ob bereits siebzig oder sieben Menschen im Bus sind. Da in China ja nur vorne und nicht auch hinten eingestiegen wird, ist der Kampf umso größer. Die Alten sind die Schlimmsten! Es wird jede noch so kleine Lücke im Menschenknäuel vor der Bustür ausgenutzt, um noch den Ellenbogen vor einen anderen zu schieben. Es macht keinen Unterschied, ob dieser jemand ein zwei Meter großer Boxer oder ein fünfjähriges Kleinkind ist. Im Bus geht es dann genauso weiter. Wenn ein alter Mensch den einzigen freien Sitzplatz in der hintersten Ecke des Busses sieht, dann muss er den so schnell wie möglich haben. Mit Schlägen und Tritten wird sich bis zu diesem einen Sitz durchgekämpft – auch wenn man an der nächsten Station wieder raus muss.
So, dann komme ich jetzt wieder zu meinem Lieblingsteil: Eure Fragen.
Gibt es außer Bussen noch anderen Personen-Nahverkehr in Jiujiang?
Etwas wie U-Bahnen oder Straßenbahnen haben wir nicht, dafür ist Jiujiang zu klein. Die Region Jiujiang ist zwar relativ groß, allerdings ist die wirkliche Stadt in 30 Minuten mit dem Bus zu durchqueren. Deswegen würde es sich nicht wirklich lohnen etwas wie Bahnen zu bauen, wobei ich mir gut vorstellen kann, dass sich das in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren noch ändert. Außer den Bussen hätten wir dann nur noch alle möglichen Varianten des Taxis. Natürlich die ganz normalen Autos, aber auch motorisierte Dreiräder und Motorräder, die etwas billiger sind.
Wie frei darfst du dich bewegen? Erlauben dir deine Gasteltern alleine durch die Stadt zu fahren oder gar nach außerhalb?
In der Stadt kann ich im Prinzip machen, was ich möchte, solange es nicht zu spät wird. Ich kann auch, wie zum Beispiel an Silvester oder meinem Geburtstag, bis ein Uhr nachts draußen sein, wenn sie wissen wo ich bin und wann ich zurückkomme. Allerdings eher selten, also nur zu besonderen Anlässen. Alleine die Stadt verlassen, ist so die Sache. Die nächste wirklich größere Stadt ist Nanchang. Das hat ja jetzt auch gerade funktioniert, allerdings haben wir auch bei einem Freund geschlafen und mit dem Zug ist es eine direkte Verbindung von 50 Minuten. Inwiefern es noch weiter weg gehen würde, weiß ich nicht, aber man muss es ja auch nicht gleich überreizen. Da werde ich mir also noch Zeit mit lassen.
Wie ist es mit Fahrradfahren?
Ich kann Fahrradfahren.
Ich brauche hier kein Fahrrad, weil sich alles gut mit dem Bus erreichen lässt. Das Stadtzentrum ist klein genug, dass ich alles ablaufen kann. Meine Schule ist zwar relativ weit weg, mit dem Bus aber kein Problem. Fürs Fahrradfahren ist für mich alles zu weit weg oder zu dicht dran. Da der Bus aber nur 11 Cent kostet und ein Taxi meist auch unter einem Euro ist das alles kein Ding.
Gibt es in dem Ort ein historisches Zentrum oder ist das nur eine moderne Stadt?
Weder noch. Also es gibt kein wirklich sichtbares historisches Zentrum, aber es ist auch bei weitem nicht so modern, wie man es aus dem Fernsehen von Shanghai kennt. Die meisten Häuser sind ziemlich alt, werden allerdings alle paar Jahre wieder frisch angepinselt, deswegen ist es schwer auszumachen was alt und was neu ist. Momentan macht Jiujiang den Eindruck eines kleinen Entwicklungslandes. Es ist alles nicht so modern, doch daran wird tagtäglich gearbeitet. Wenn man in fünf bis zehn Jahren wiederkommt, ist es wahrscheinlich kaum noch wiederzuerkennen.
Sprechen die Leute in Jiujiang akzentfreies Chinesisch oder gibt es große Unterschiede in den verschiedenen Gegenden von China?
Das hängt ganz davon ab mit wem man sich unterhält. Das ist ja in Deutschland nicht viel anders. Wenn ich mit einer 80-jährigen Schwäbin vom Land spräche, würde ich vermutlich kaum ein Wort verstehen, anders als bei Jugendlichen. Grundsätzlich ist es so, dass jede Stadt bzw. Region ihren ganz eigenen Dialekt hat. In Jiujiang hört sich zum Beispiel das A immer eher nach einem O oder dem schwedischen Å an. Diese Dialekte sind in ganz China komplett verschieden. In der Schule wird zwar „Hochchinesisch“, wie in Deutschland auch, unterrichtet, aber die älteren Leute sprechen natürlich eher ihren Dialekt. Wenn zum Beispiel meine Großeltern hier mit mir reden, verstehe ich meist kaum etwas.
Warum haben sich deine Gasteltern entschieden, einen Gastschüler aufzunehmen und warum gerade einen Deutschen?
Ja, das weiß ich auch nicht so ganz genau. Also unsere Chinesisch Lehrerin, bei der mein Bruder privaten Englischunterricht hat, hat meine Eltern damals gefragt, ob sie nicht einen Gastschüler aufnehmen wollen und da haben sie ja gesagt. Ich weiß nicht, ob sie das von Anfang an für eine gute Idee gehalten haben oder einfach nur nicht nein sagen wollten. Wieso sie sich dann für einen Deutschen entschieden haben weiß ich jedoch. Wir Deutsche genießen ja ein ziemlich großes Ansehen in der Welt, Deutschland heißt auf Chinesisch nicht umsonst 德国 (Deguo = Land der Moral/Tugenden). Meine Mutter mag nämlich so an Deutschen, dass sie pünktlich sind und, dass, wenn wir etwas sagen es auch so machen. Es gibt kein „Ja, vielleicht, nein, so ungefähr“, sondern ja ist ja und nein ist nein. Deswegen haben sie sich für mich, den Deutschen entschieden. Wie viele Deutsche sie vor mir kannte, ist allerdings unbekannt.
Gibt es an deiner Schule chinesische Schüler, die Deutsch lernen?
Richtiges Lernen nicht. Wir haben zwar zwei Deutsche Lehrer und die geben auch regulären Unterricht in manchen Klassen, aber das läuft mehr so auf die Standardsätze hinaus. Anders ist es mit Japanisch. Es gibt drei Schüler in unserer Schule die richtig jeden Tag ein paar Stunden Japanisch mit unserer Lehrerin lernen, weil sie nach der Schule in Japan studieren wollen. Sowas gibt es für Deutsch nicht.
Natürlich würde ich mich auch für den nächsten Bericht wieder über Fragen von euch freuen, denn mir gehen langsam die Themen aus.
Und somit neigt es sich dann auch mal wieder dem Ende zu. Ich entschuldige mich noch mal dafür, dass es Ewigkeiten gedauert hat, bis ich die Zeit gefunden habe und hoffe, es geht beim nächsten Mal schneller. Genießt die letzten Tage im Februar und freut euch, zumindest in Hamburg, auf die kommenden Schulferien. Ich merke schon, dass mein Deutsch von einem zum andern Blog immer schlechter wird und hoffe ihr könnt mir das verzeihen. ;-)

Liebe Grüße aus dem kalt-warmen, feucht-trockenen Jiujiang.

Euer Joshy! J

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Jiujiang, den 09. Dezember 2010


Seid gegrüßt!

Fast einen Monat ist es nun her, dass ich mich das letzte Mal gemeldet habe. Weihnachten, Neujahr und meine Abreise kommen in großen Schritten näher. Nur noch 199-mal schlafen, dann sitze ich schon im Flieger Richtung Heimat. Es ist erschreckend wie schnell alles geht.
Der dritte Advent steht vor der Tür und ich laufe nach der Schule noch immer mit kurzer Hose und T-Shirt herum. Auch wenn es morgens noch relativ kühl ist, steigen die Temperaturen am sonnigen Nachmittag auf 20°C. Leider soll es ab Sonntag schlechter werden. Eine Regenwahrscheinlichkeit von 99% und 10 – 20 l/m² lassen nicht gerade Freude aufkommen. Deshalb wird die Sonne noch so lange genossen, wie es möglich ist, auch wenn ich dafür eine leichte Rotfärbung des Gesichts in Kauf nehmen muss.
Die Zeitumstellung vom 31. Oktober nervt ziemlich, denn in China bleiben die Uhren das ganze Jahr bei ihrer Zeit. Aufgrund dessen herrschen jetzt sieben Stunden Unterschied zwischen Deutschland und China.
Es kommt jedes Jahr eine australische Delegation einer Partnerschule an die Jiujiang Foreign Language School (九江外国语学校), meine Schule. Dieses Jahr waren sie vom 19. bis 29. November hier. So viele westliche Gesichter waren echt ungewohnt. Zusammen waren wir am 23. mit unserer Schulleitung bei Eiseskälte (5°C) und bestem Wetter in den Bergen. Man kann sich nicht vorstellen wie sauber sich die kalte Luft bei jedem Atemzug anfühlt. Neben den Australiern kam sich jeder von uns wie ein Chinesischgenie vor. Da es für sie nur eine Art Exkursion und keine Sprachreise war, sprechen sie alle kein Chinesisch.
Etwas ungewöhnlich ist es, die ganzen Menschen in Schlafanzügen auf der Straße zu sehen. In den Morgen- und Abendstunden findet man sie überall, jedoch sind es keine schlichten Pyjamas. Sie sind meist rot oder rosa und sind mit kindlichen Motiven bedruckt. Comicfiguren, Teddys oder übergroße Pandabären.
In jeder Straße findet man kleine Läden, in denen man sich für wenig Geld gut massieren lassen kann. Sogar im Krankenhaus kann man für eine Massage bezahlen. Der Taiwanese und ich haben das mal ausprobiert und das Ergebnis war echt gut, ganz davon abgesehen, dass wir umgerechnet nur 1,22€ bezahlt haben – für beide zusammen!
Wachtelsuppe hört sich ja nicht unbedingt schlecht an, aber wenn man den Raum betritt und eine ganze Wachtel liegt in dem Schälchen, ist es schon etwas anderes. Auf der einen Seite gucken die Füße steif wie Stäbchen aus dem Wasser und auf der anderen krümmt sich der Hals über den Rand der Schale und der Kopf taumelt kurz über der Tischplatte. Nachdem ich das wenige Fleisch gefunden und verspeist hatte, war ich fertig. „Denkste“! Es wird alles gegessen, was sich zerkauen lässt. Also machte ich mich langsam an dem Kopf zu schaffen. Mein Vater zeigte mir, wie ein leichter Druck des Stäbchens das Auge „herausspringen“ lässt. Danach benutzt man besagten Gegenstand auch noch dazu, um das Hirn heraus zu kratzen. Ihr könnt es euch wohl kaum vorstellen, aber ungenießbar ist es auf keinen Fall. Doch das Bild im Anschluss an diese Folter prägt sich ein. Der ungehinderte Blick durch den Kopf auf den Tisch ist alles andere als normal.
Ein paar von euch Lesern sind meiner Bitte nachgekommen und haben mir Fragen gestellt, die ich jetzt beantworten werde.
Wie kann man sich das Familienleben vorstellen? Sitzt man den ganzen Tag nur vor dem Fernseher oder unternimmt man auch andere gemeinsame Aktivitäten?
Bei mir ist es so, dass mein Vater normalerweise den ganzen Tag auf der Arbeit ist und auch dort am Mittag isst. Er arbeitet im städtischen Center für Präzisionsmechatronik. Meine Mutter kommt als Lehrerin mittags nach Hause, um Essen zu kochen. Da wir werktags auf dem Gelände ihrer Schule wohnen, hat sie keinen allzu langen Weg. Mein Bruder ist im Gegensatz zu mir auch zu Hause, um dort Mittagessen zu sich zu nehmen. Falls bei uns mal am Nachmittag etwas ausfallen sollte, komme ich auch rechtzeitig für das Mittagessen. Meistens wird bei uns gegessen, falls jedoch meine Mutter nicht genug Zeit oder Lebensmittel hat, dann findet es bei ihrer jüngeren Schwester statt, die hier auch auf dem Gelände wohnt. Dort sind dann auch immer ihre beiden Kinder, meine Geschwister, denn auch eine jüngere Cousine ist eine 妹妹 (mèimèi = kleine Schwester). Trotz der Ein-Kind-Politik haben die drei Geschwister meiner Mutter jeweils zwei Kinder. Ich vermute, es liegt daran, dass das erstgeborene Kind bei allen dreien ein Mädchen war. Abendessen gibt es immer gegen 18 Uhr bei uns, wo dann auch 爸爸 (bàba = Vater) dabei ist. Danach geht mein Bruder wieder zur Schule und kommt erst nach 22 Uhr wieder. Mein Vater guckt die meiste Zeit Fernsehen, wenn er daheim ist. Der Fernseher läuft sowieso fast dauernd, egal, ob jemand davor sitzt oder sich keiner im Zimmer befindet. Wenn es später wird sitzen meine 父母 (fùmu = Eltern) eigentlich immer vor dem Computer und spielen Solitär, Mahjong oder ein anderes Spiel – jeden Tag, stundenlang. Am Wochenende besuchen wir fast immer die Familie. Meistens geht es zu 姥姥的家 (lǎolao de jiā = Großmutters (mütterlicherseits) Haus). Dort versammelt sich dann die ganze Familie meiner Mutter und wir Essen Mittag- bzw. Abendessen. So kann es auch vorkommen, dass an einem ganz normalen Samstag sechzehn Familienangehörige um einen Tisch herum sitzen, essen und – natürlich – nebenbei Fernsehen gucken. Die Familie meines Vaters habe ich erst einmal bei einem Essen im Restaurant kennengelernt, denn die können meine Mutter gar nicht leiden, deshalb durfte sie zum Beispiel nicht ins Restaurant mitkommen. Wenn es nicht so kalt ist gehen meine Eltern und mein Bruder fast jedes Wochenende in die Berge zum Wandern. Allerdings ist es kein idyllisches wandern auf einsamen Wegen in den Alpen, sondern eine lange Natursteintreppe, die sich kilometerlang den Berg hinaufzieht und auf der sich an guten Tagen hunderte von Menschen tummeln. Außerdem ist man immer von Bambus umgeben und hat nur selten einen freien Blick auf die schönen Berge um einen herum. Der 庐山 (lúshān heißt übersetzt „Berg Lu“) ist an seinem höchsten Punkt knapp 1.500 Meter hoch. Er gehört aufgrund seiner atemberaubenden Schönheit zu den berühmtesten Bergen in China und viele Poeten widmeten ihm Gedichte. Bis heute steht dort eine Villa von Mao Zedong, die als Museum umgebaut worden ist. Viele Chinesen gehen im Lushan-Landschaftspark wandern, um der Stadt bzw. der Hitze im Sommer zu entkommen. Außerdem glauben viele daran, dass man mehr im Leben erreichen wird, wenn man oft in großer Höhe wandert. Sie wollen hoch hinaus.
Wie nehmen Ausländer am Unterricht teil?
Gar nicht. Wenn wir keinen Sprachunterricht haben, sitzen wir meistens in unserer chinesischen Klasse. Vom Unterricht verstehen wir nach wie vor kaum etwas, außerdem setzt man in China meist auf Frontalunterricht. Es wäre ja auch wahnsinnig, wenn man mehr als 60 Schüler individuell fördern wolle. Im Klassenraum sitzen wir mit unserem Tisch in der letzten Reihe an der Wand, was eigentlich schon alles sagt. Wir lesen Bücher, hören Musik oder lernen Vokabeln. Neuerdings lassen wir manchmal die chinesische Klasse aus, da wir uns da sowieso nur langweilen, und gehen zum Sportplatz, wo wir dann jede Stunde mit einer anderen Klasse Fußball spielen. Chinesischer Fußball ist nicht gerade der beste der Welt, wenn man es nett ausdrücken möchte. Abgesehen vom Sportunterricht ist Englisch das einzige Fach in dem wir etwas teilnehmen können. Häufig werden wir etwas gefragt, wenn die Chinesen nicht weiterwissen. Heute hat mir sogar ein Schüler seine Arbeit herüber geschoben, die ich dann für ihn geschrieben bzw. angekreuzt habe.
Wird in deiner Familie auch Englisch gesprochen?
Also theoretisch spricht mein Bruder Englisch, aber nicht besonders gut. Mein Lieblingsbeispiel ist aus den ersten Tagen in Jiujiang. Ich fragte ihn: „Is this your school uniform?“ (Ist das deine Schuluniform?) und er antwortete: „No, sometimes I go by bus.” (Nein, manchmal fahre ich mit dem Bus). Deswegen spreche ich in meiner Familie ausschließlich Chinesisch. Zur Not gibt es immer noch diverse Wörterbücher im Haus.
Wie ist der Umgang Jugendlicher untereinander.
Im Großen und Ganzen ist der Umgang hier kein anderer als in Deutschland. Natürlich ist alles etwas kindlicher. Die Chinesen sitzen den ganzen Tag in der Schule oder lernen, da bleibt nur wenig Zeit, damit sich die sozialen Kompetenzen entwickeln können. Deswegen verbringen wir unsere Zeit auch eher mit Schülern aus den Abschlussjahrgängen oder noch älteren. Selbst hier gibt es Mobbing. Es ist zwar nicht so extrem wie in manchen Fällen in Deutschland, aber trotzdem vorhanden. Es werden gerne Spitznamen gegeben. So haben wir zum Beispiel 非洲鸡 (fēizhōu jī = afrikanisches Huhn), die einen etwas dunkleren Teint hat und 母老虎 (mǔláohǔ = etwas wie Hausdrachen (wörtlich Tigerin)), weil sie ein etwas aufbrausendes Wesen ist, das gerne schreit und böse ist.
Was spielen Chinesen? Ich kenne nur Mahjong und das Brettspiel mit den schwarzen und weißen Steinen.
Das Spiel mit den schwarzen und weißen Steinen nennt sich 象棋 (xiàngqí) und ist chinesisches Schach. Das Mahjong, das wir aus der Spieleabteilung unseres Computers kennen, wird hier eigentlich nicht gespielt. Hier spielt man 麻将 (májiàng). Es wird mit den gleichen Steinen gespielt, ist aber komplizierter und man spielt es zu viert. Außerdem sieht man überall auf der Straße Männer eine Art Poker spielen. Beides dreht sich meistens um Geld.
Ist alles so gebaut wie deine Schule?
Nein, denn meine Schule ist für das chinesische Bautempo schon wieder alt, nämlich fünf Jahre. Hier werden ständig neue Gebäudekomplexe erbaut und das in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit. Ganz wichtig ist auch, dass es die anderen Häuser in näherer Umgebung überragt. Jedes neue Gebäude ist riesig und kommt der Smogglocke einen Schritt näher. Diese Häuser sehen im Prinzip genauso aus, wie die, die bei uns neu errichtet werden.
Wie ist die Natur?
Natur gibt es nur außerhalb der Stadt. In der Stadt sieht man zwar mal einen Baum, aber die sind auch nur an den großen Straßen gepflanzt. Wenn man jedoch aus der Stadt herauskommt und beispielsweise in die Umgebung des Lushan fährt, ist es wunderschön.
Kannst du schon das nötigste sagen?
Ja, für die kleinen Unterhaltungen des Alltags reicht es, allerdings auch nicht für viel mehr. In meiner Familie kann ich mich weitgehend verständigen und wenn ich auf der Straße angesprochen werde auch. Das sind allerdings auch immer die gleichen Dinge. Woher kommst du, bist du Student, wie alt bist du, etc.
Damit wäre dann auch wieder alles, was interessant sein könnte, erzählt. Es ist schön, dass einige meiner Bitte vom letzten Bericht nachgekommen sind und mir geschrieben haben. Für mich passiert hier nicht mehr viel Neues oder Interessantes, deswegen gibt es nur noch wenig zu erzählen. Für weitere Fragen, Anregungen oder Wünsche wäre ich sehr dankbar. Also lasst etwas von euch hören.

Liebe vorweihnachtliche Grüße ungefähr vom 30. Breitengrad.

Euer Joshy! J

Freitag, 12. November 2010

Jiujiang, den 12. November 2010



Das ist Joshy mit seinem chinesischen kleinen Bruder Didi

Ahoi Deutschsprachige!
Es ist schon wieder eine halbe Ewigkeit her, dass ich mich gemeldet habe. Langsam bricht auch hier der Herbst ein und einige Blätter beginnen sich zu verfärben. Die Temperaturen gehen nachts schon in den einstelligen Bereich, aber stehen tagsüber noch konstant bei angenehmen sonnigen 23°C.
„Oh my Lady GaGa“, ist wahrscheinlich der typischste chinesische Satz den es gibt. Man hört ihn ständig und überall. Bevorzugt sind es Kinder im Grundschulalter, die ihn sagen, aber auch darüber hinaus wird er gerne verwendet. Wie ihr euch denken könnt, ist es ein Synonym für „Oh mein Gott“.
Fischkopfsuppe wird zwar bei uns nicht gegessen, aber ist auch nicht völlig abwegig. Allerdings ist es etwas ungewohnt, wenn man mit seinen Zähnen auf dem mit Zähnen besetzten Unterkiefer eines Fisches herum kaut. Fischaugen dagegen sind nicht so schlecht, wie man sich es zuerst vorstellen mag. In meiner Familie wird jedoch wohl nichts „komisches“ auf den Tisch kommen, denn meine Mutter und mein Bruder essen so etwas nicht – aber mein Vater. Ich werde also, wenn die Zeit gekommen ist, mit meinem Vater „seltsame Dinge“ essen. Leider gibt es die wirklich ungewöhnlichen Gerichte in Nordchina. Für den Winter stehen aber vermutlich Speisen wie Hund, Grille, Skorpion und Riesentausendfüßler auf der Speisekarte. Ich bin gespannt und werde berichten!
Mit dem Belgier habe ich einem großen Markt einen Besuch abgestattet. Der Anfang ist trotz aller möglichen Gewürze und riesigen Gemüsearten relativ unspektakulär. Wenn man allerdings ein bisschen an den Rand des Marktes geht, sieht man Dinge, die man teilweise nicht unbedingt hätte sehen wollen. Dort gibt es nämlich alle möglichen Tiere. In der lebenden Abteilung tummeln sich Ziegen, Frösche, Kröten, Krabben, Schildkröten, Fische, Schlangen, Igel, Enten, Gänse, Tauben und Wachteln; und in der toten gibt es Wiesel, Rehe, Dachse, Rinder und Unmengen an Hunden. Überall hängen bzw. liegen tote Hunde mit abgezogenem Fell, ohne Kopf oder gerade erst getötet in einer Blutlache. Von allen Seiten gucken einen Ziegenköpfe mit heraushängenden Zungen vom Boden an und der Komplette Markt steht unter einer Wasser-Blut-Gedärme-Mischung. Nichts für leichte Nerven!
Eigentlich braucht man in China gar keine Autos, denn mit Motorräder und –rollern kommt man hier sowieso viel besser voran. Kein Wunder, dass man dutzende von Marken sieht, die man vorher noch nie gesehen hat. Die meisten mit so komischen Namen, dass man sie sich gar nicht merken kann. Jedoch bleiben ein paar im Kopf, wie zum Beispiel Suzuik, Suzuxi oder mein persönlicher Favorit Suzukl.
In den letzten zwei Wochen gehören Stromausfälle zum Alltag. Ständig ist plötzlich der Strom weg. Ich sitze vor meinem Laptop und auf einmal ist alles schwarz, wir sitzen beim Abendessen und von einer Sekunde auf die nächste ist alles stockdunkel oder ich sitze auf Klo und wie aus dem Nichts muss ich nach dem Klopapier tasten.
Jiujiang, die ewige Baustelle, ist gerade dabei unsere Straße von Grund auf neu zu machen. Es wird von einer Nacht auf die nächste der komplette Asphalt mit überdimensionalen Presslufthämmern auf gehämmert, so dass nicht mal mehr die Zweiräder einen Weg an der Baustelle vorbeifinden, deshalb ist auch jeden Tag an einer anderen Stelle der Stadt ein großer Stau. Aber der Chinese erkennt aus allem sofort seinen Vorteil und weiß ihn zu nutzen. So sitzen zum Beispiel die Frauen am Ende des Grundwasserabsaugschlauches und waschen ihre Wäsche oder sie laufen durch die aufgebohrten Straßen und füllen ihre Blumenkästen mit frischer Erde.
So, jetzt werde ich mich mal einigen Fragen von euch widmen.
„Wie sind die Leute in China, vor allem die jungen, so in ihrer Freizeit gekleidet?“
Die Schüler in Jiujiang haben nur wenig Freizeit, aber wenn sie mal welche haben, laufen sie häufig in ihrer Schuluniform herum. Da hier nicht jede Schule ihre eigene, sondern die ganze Stadt dieselbe hat, läuft gefühlt die Hälfte der Bevölkerung in den gleichen Klamotten herum. Falls sie nicht ihre Schuluniform tragen, sehen sie, was die Kleidung angeht, im Prinzip aus wie die deutsche Jugend auch. Es werden nur deutlich weniger Markenklamotten getragen. Ist ja auch kein Wunder, denn wer hat hier schon das Geld, um sich von Puma, Adidas oder Nike einkleiden zu lassen und warum sollte man dafür Geld ausgeben, wenn man auch die billigen Fälschungen hat. Jedoch wird im Großen und Ganzen darauf geachtet, dass man nicht zu sehr auffällt. Mit meinem grünen T-Shirt mit gelber Zitrone von Cleptomanicx bin ich hier quasi der Paradiesvogel unter den Menschen. Auch die älteren Menschen laufen nicht wirklich anders herum als in Deutschland. Bei den jüngeren Frauen gibt es jedoch größere Unterschiede. Es werden fast nur hohe Absätze getragen, das heißt geschätzte acht bis zwölf Zentimeter und das bei der täglichen Arbeit. Jetzt mag ein mancher frühpubertärer Spaßvogel denken „Haha, bei was für einer Arbeit denn?!“, aber genau das ist es. Ich Deutschland würde man „normalberufliche“ Frauen nie so auf der Straße sehen, wie hier. Weiße Stiefel bis zu den Knien, Strumpfhose und mikroskopisch kurzer Faltenrock. Welche deutsche Frau würde so täglich aus dem Haus gehen und das im fortgeschrittenen November?
„Was haben die so für Geschäfte, also wie muss man sich die so vorstellen?“
Es gibt vereinzelt die gleichen Geschäfte wie in Hamburg auch, das heißt Nike, Puma, Adidas, Kappa, The North Face, Vero Moda, etc. Die kleineren Geschäfte am Straßenrand sind meistens deutlich länger als breit. Teilweise gehen sie nur einen Meter in die Breite, aber dafür bis zu zwanzig in das Haus hinein. Dann hängen an den Wänden „Louis Vuitton“- und „Burberry“-Handtaschen. Und natürlich wird überall gehandelt!
„Gehen die ihre Lebensmittel in Supermärkten einkaufen oder nur auf der Straße bzw. dem Markt?“
Beides. Supermärkte gibt es deutlich weniger als bei uns. Ich kenne nur zwei, aber die sind riesig. In den Supermarkt wird allerdings nur selten gegangen, denn man hat so gut wie alles auf der Straße. Wenn meine Mutter sich mal im Supermarkt blicken lässt, dann nur, um Milch, Milchpulver oder Zahnpasta und ähnliches zu kaufen. Also nur für Dinge die es nirgendwo sonst gibt, denn etwas wie Budni oder Schlecker gibt es nicht. Auf der Straße wird fast alles verkauft. Obst, Fisch, Kartoffeln, Fleisch, Gemüse, und und und. Auch wenn es im Supermarkt Discounterpreise gibt, ist es auf der Straße meist günstiger, denn hier wird hemmungslos gehandelt. Wenn das halbe Kilo Mandarinen 6 Kuai (Kuai ist nur ein anderes Wort, meint aber das gleiche wie Yuan) kosten soll, will man es für zwei oder drei haben. Es wird wirklich um jeden Cent gekämpft. Für den Markt gilt das gleiche, wie für die Straße, nur die Auswahl ist deutlich größer.
„Wie genau sieht eigentlich ein Essen aus? Was steht auf dem Tisch, wie wird gegessen und was herrschen für Tischmanieren?“
Auf dem Tisch liegt grundsätzlich eine Unterlage aus Glas oder Plastik, zu dem Zweck komme ich später. Es ist nicht wie bei uns, dass man den Topf mit Kartoffel, die Pfanne mit Fisch oder Fleisch und eine Schale mit Bohnen hat, sondern es gibt viele verschiedene Gerichte (cai). Jeder hat ein Schälchen mit Reis und füllt sich etwas von den Gerichten auf. Man benutzt bei jeder Mahlzeit nur seine eigenen zwei Stäbchen. Der ganze Tisch steht voll mit kleinen Schalen. In einer ist Fisch, in einer anderen Hühnerfüße und in der nächsten gezuckerte Tomaten. Es sind immer so viele Sachen, dass jeder etwas findet, das ihm schmeckt. Meistens gibt es dieselben Dinge ein paar Tage hintereinander, weil sie noch nicht aufgegessen wurden. Außerdem steht immer ein Topf mit Suppe auf dem Tisch, jedoch keine Suppe wie wir sie kennen. Häufig ist es Wasser, unendlich viel Öl, Maiskolben und Knochen. An den Knochen ist auch noch etwas Essbares dran. Meistens ist es ein wenig Fleisch, viel Fett und noch mehr Sehnen bzw. Knorpel. Ein Steak oder Schnitzel aus purem Fleisch ist hier unvorstellbar. Es sind immer Knochen mit Resten daran, diese werden in den Mund genommen und abgenagt. Getrunken wird eigentlich nie, es sei denn, man ist in einem Restaurant, dann trinkt man seine mitgebrachten Getränke. Kommen wir zu den Tischmanieren. Man sollte das Wort „Manieren“ lieber in Anführungszeichen setzen. Es wird geschmatzt, gerülpst und auf den Tisch gespuckt, womit wir wieder bei der Unterlage wären. Alle Knochen, Gräten und was man sonst noch nicht essen kann landen auf der Unterlage, die am Ende abgewischt wird. Ohne schlürfen geht gar nichts. Wenn die Suppe getrunken wird, ist das in der ganzen Wohnung zu hören. Der anständige Chinese nimmt beim Essen die linke Hand an das Schälchen und führt es, falls nötig, zum Mund. Man kann es aber auch wie mein Bruder machen, der seinen Oberkörper soweit nach vorne lehnt, bis sein Kopf in der Schale liegt. So fängt er dann an seine Knochen abzuknabbern, den Reis in sich herein zu saugen und die Suppe zu schlürfen. Ich habe bisher bei noch keinem Chinesen schlimmere „Tischmanieren“ gesehen! Am Ende nimmt man sich eine Servierte aus dem Spender und wischt sich den Mund ab.
Der fünfte Bericht aus Jiujiang neigt sich auch schon wieder dem Ende zu. Wenn ihr irgendwelche Fragen, Wünsche, Ideen oder was auch immer habt, dann schreibt sie mir und ich werde, wie dieses Mal, im nächsten Beitrag darauf eingehen.

Liebe Grüße aus dem wärmeren Südosten.

Euer Joshy! J