Montag, 20. September 2010

20.09.2010 Neues von Joshy

Moin!

Es ist jetzt genau einen Monat her, dass ich das wunderschöne Hamburg über Frankfurt nach Beijing verlassen habe. Deutsche Weltstadt gegen chinesisches Kaff mit 4,6 Millionen Einwohnern.

Wie mir zu Ohren gekommen ist, hat einigen Daheimgebliebenen mein erster Eintrag gefallen. Puh, hoffentlich wird der zweite Bericht unter diesem Leistungsdruck kein Flop. ;-)

In den letzten dreizehn Tagen ist wieder so einiges passiert. Wir haben unsere Schuluniformen bekommen. Wenn man an eine Schuluniform denkt, hat man die Bilder aus den amerikanischen Filmen im Kopf. Weißes Hemd und dunkelblaue, gebügelte Hose für die Jungen und weiße Bluse mit kariertem Rock für die Mädchen. Natürlich nur die beste Qualität. Doch wenn man mit diesen Hoffnungen nach China kommt, wird man bitter enttäuscht werden. Ein Wort: Trainingsanzug! Die Beine bekleidet eine graue, meist zu große Trainingshose und für den oberen Körperteil gibt es eine weiß-gelbe Trainingsjacke. Auch wenn die Ärmel von drei Streifen geziert werden und auf der Vorderseite groß „SPORTS“ steht, ist der Anzug alles andere als atmungsaktiv. Das ist die Winteruniform, wird aber trotzdem im Sommer getragen. Es gibt auch eine für die warme Jahreszeit, aber die muss für uns männlichen Ausländer noch um geschneidert werden. Es kam schon extra ein Mann mit Maßband in die Schule und hat uns rundum vermessen. Die Sommeruniform ist eher an das gängige Bild einer Schuluniform angepasst. Weiße Hemden für Jungen und Mädchen und eine dunkelblaue Hose bzw. ein karierter Rock. Die Hosen sind so komisch geschnitten, dass ich sie wahrscheinlich am Bund sprengen werde, denn es wurde kein Maß für die Hose genommen. Ich hab die Sommerhose, die trotzdem lang ist, von einem Klassenkameraden im normalen Zustand angeguckt. Es würde höchstens mein Oberschenkel durch passen. Na ja, man wird es sehen. Die Röcke überstehen glaube ich nicht ein ganzes Schuljahr. Die Qualität lässt bei allen Kleidungsstücken für einen Mitteleuropäer doch schwer zu wünschen übrig.

Mittlerweile habe ich mich an nahezu alles gewöhnt. In den Betten schlafe ich so gut wie zu Hause in Hamburg. Die „Matratze“ würde in Deutschland als „Sommerdecke“ durchgehen und beim Lattenrost sind die Bereiche ohne Holz schwer zu finden. Man liegt eigentlich direkt auf dem harten Naturprodukt. In den ersten Tagen konnte ich kaum schlafen, doch ich habe immer zurückgedacht. An Victoria, die australische Austauschschülerin, welche ich in Beijing kennengelernt habe. „Meine Mutter hat gesagt, dass wenn ich hier etwas nicht mag, soll ich es zwei Wochen lang probieren. Wenn ich es dann immer noch nicht mag, ist es okay.“ Es hat bei mir zwar eher zweieinhalb bis drei Wochen gedauert, aber ihre Mutter hatte recht. Ich hab mich in der Zeit an so gut wie alles gewöhnt, sogar die an Laktose arme Milch ist jetzt nicht mehr ungenießbar.

Als ich Mitschüler gefragt habe, wie kalt es denn im Winter werden würde, war ich durchaus positiv überrascht. Ich hatte mit 10-15°C gerechnet, schließlich sind wir ungefähr auf einem Breitengrad mit Kairo. Doch als ich -4 bis 2 Grad hörte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Es soll sogar Schnee fallen, hat mir einer der beiden deutschen Lehrer erzählt. Ihr Vorgänger hat sich nämlich den Fuß gebrochen, weil hier nicht gestreut wird. Das ist zwar nicht so schön, aber für einen Menschen wie mich, der lieber -20 anstatt +30°C hat, ist es die beste Nachricht, seitdem ich hier bin.

Wie ich schon geschrieben habe, war letzte Woche von Montag bis Donnerstag dieses „Military Training“. Nach dem ersten Tag hat kein Ausländer mehr mitgemacht. Wir saßen jeden Tag im Klassenraum, haben geredet und uns gelangweilt. Irgendwann sind Bart, der Belgier, und ich auf die Idee gekommen, Kreide in den Deckenventilator zu werfen. Was für ein Spaß, weil man nie weiß, wo sie hinfliegt. Aber selbst das wird nach einiger Zeit langweilig und man muss jedes Mal durch den Klassenraum gehen und die Kreide einsammeln.

Wie jeder weiß, ist so gut wie alles „Made in China“. Ich sitze also direkt an der Quelle. Wenn jemand ein brandneues Produkt, das bei uns noch nicht auf dem Markt ist, haben möchte, soll er sich melden. Da wäre zum Beispiel ein schwarz-gelbes Poloshirt von Kappa. Auf dem Rücken steht in großer Schrift „Borussia Portmund“, ein absolutes Muss für jeden Borussia Portmund-Fan. Das habe ich in Deutschland noch nicht mal im Ruhrpott gesehen. Oder wie wäre es mit einem Dolce&Gabba Shirt in lila? Wenn ihr nicht so auf Textilien abfahrt, gibt es auch neue Elektronik. Ein schönes, schlichtes, weißes Handy von Scny Eriossonn hätte ich im Angebot. Allerdings müsste ich erst meinen Klassenkameraden fragen, wo man es kaufen kann. Doch in der PC-Mall unter der städtischen Bibliothek habe ich eine Neuentdeckung gemacht. Apple scheint etwas neues ‘rausgebracht zu haben. Der i-dop sieht zwar aus wie ein „classic“, kann aber bestimmt noch mehr. Also bei Interesse meldet euch.

Eine Sache ist hier sehr entspannt im Vergleich zur Heimat. Der Umgang mit Schweiß. Wenn man bei uns beispielsweise in der Klasse sitzt und schwitzt, wird man gleich mit leicht angewidertem Blick angeguckt. Hier ist es das normalste der Welt, denn es ist natürlich! In der Klasse schwitzt jeder, auf der Straße schwitzt jeder, überall wo man hingeht schwitzen die Leute und keiner würde auch nur auf die Idee kommen etwas zu sagen. Wieso denn auch? Das ist als würde man bei uns jemanden verwirrt darauf ansprechen, dass er im Winter eine Mütze trägt. Es ist völlig normal!

Für uns nicht ganz normal sind die Straßenhunde hier. Sie sind überall und man hat manchmal das Gefühl, dass sie kurz davor sind, einem ins Bein zu beißen. Wer weiß, was die alles für Krankheiten haben. Vor einigen Tagen habe ich einen Hund von vorne gesehen. Als ich das Gesicht sah, hatte ich sofort das Bild dieser Hunderasse im Kopf. Den Namen kannte ich zwar nicht, aber sie sind immer so 25-30 cm hoch und 50 lang. Doch als sich der Hund umdrehte, fiel mir die Kinnlade herunter. Er war bestimmt 80 bis 90 Zentimeter lang. Also ich weiß ja nicht wer bei diesem Tier Vater und Mutter sind, aber irgendetwas ist da nicht ganz normal verlaufen.

Ständig hört man irgendwo Feuerwerkskörper laut und lange knallen, wenn Baustellen eröffnet werden und bei vielen anderen Sachen. Nicht zu vergleichen mit den kleinen Böllerchen an Sylvester in Deutschlands Straßen. Ich kann das chinesische Neujahrsfest kaum erwarten. Wahrscheinlich höre ich danach erst mal einen Monat nichts mehr. Ich denke mal, dass das böse Geister vertreiben soll oder so ähnlich.

Die spannendsten und besten Geschichten schreibt das Leben. Das weiß jeder. Doch hier wird das wohl etwas zu wörtlich genommen. Als ich vorgestern am Abend spazieren gegangen bin, hörte ich schon von weitem Geschrei. Eine kleine Straßenhändlerin hatte sich mit ihren Sachen vor einem Geschäft niedergelassen. Das passte der Besitzerin des Ladens ganz und gar nicht. Sie brüllten sich minutenlang an. Ich hatte schon die Befürchtung, dass sie sich gleich an die Kehle fallen und eine höhere Gewalt eingreifen muss. Das ist ja nicht so besonders, aber um die beiden Frauen herum standen im Abstand von zwei Metern mindestens 30 Menschen und guckten zu. Sie standen einfach nur da, tranken ihr Wasser bzw. aßen ihre Melone und genossen das Schauspiel. Die paar Lebensmittelhändler in der Nähe der Menschenmenge machten wahrscheinlich das beste Geschäft der Woche. Ich mag ja ein spießiger Deutscher sein, aber ich finde nicht, dass das die feine englische Art ist.

Bisher gab es noch keine weiteren „ungewöhnlichen“ Speisen. Allerdings habe ich in einer Straße, die jeden Tag wie ein Markt ist, zwei Sachen gesehen. Ein Tier will ich auf keinen Fall essen und das andere würde ich schon ganz gerne mal probieren. In einem Käfig lagen zwei Schlangen. Für eine sollte der Ausgangspreis bei 45 Yuan liegen. Arianna, die Italienerin, Bart und ich haben sofort nachgefragt. Doch im Käfig darunter konnte ich zuerst meinen Augen nicht trauen. Zwei Igel hockten dicht aneinander in einer Ecke des Gefängnisses. Ich hoffe nur, dass man mir das Gericht nicht vorsetzen wird, denn das muss wirklich nicht sein!

Es gibt hier erst zwei Dinge, die ich nicht mag. Zum einen ist es ein Brei, den es manchmal zum Frühstück gibt. Irgendein schwarzes Pulver aus Getreide oder ähnlichem wird mit viel Wasser verdünnt. Das trifft nicht wirklich meinen Geschmack, genau wie der heiße Saft aus gelben Bohnen. Ich bin mir nicht sicher, ob es Bohnen oder Erbsen sind, aber mein Gastbruder meinte, es sei „Yellow bean juice“. Allerdings stellen sich mir die Fragen: Reichen seine Englischkenntnisse für die Unterscheidung und unterscheiden die Chinesen überhaupt zwischen Bohnen und Erbsen? Schließlich ist eine Schildkröte auch ein Fisch, denn sie schwimmt im Wasser.

Es sind überall Mücken. Wenn ich abends aus dem Haus gehe oder in meinem Zimmer das Licht anmache, komme ich um Stiche nicht herum. Bevor sie verschwunden sind, habe ich schon wieder neue. Allerdings jucken sie komischerweise nicht so sehr.

In meiner Gastfamilie hat definitiv meine Mutter die Hosen an. Mein Vater gibt meistens klein bei oder geht weg und denkt sich seinen Teil. Ich verstehe ja nicht was sie sagt, aber ihr Tonfall ist alles andere als freundlich. Zwei Sachen gefallen mir in meiner Gastfamilie nicht so wirklich. Da wäre meine Mutter. Sie spricht häufig sehr laut. Die Chinesen sind generell lauter als wir, aber das ist echt extrem. Wenn ich im Auto neben ihr sitze und sie telefoniert muss ich mir manchmal wirklich die Ohren zu halten. Das kann man sich nicht vorstellen. Das andere sind die Tischmanieren meines Bruders. Klar ist das hier alles etwas anders im Vergleich zur westlichen Welt, aber wenn man ihm beim Essen zuguckt, kann einem schon mal der Appetit vergehen. Der Mund wird so voll gestopft, dass sich die Lippen nicht mehr berühren und dann versucht er auch noch zu sprechen. Da kann es schon mal passieren, dass sich der Reis auf dem gesamten Tische Stück für Stück verteilt. Häufig führt er die Stäbchen oder die Schüssel gar nicht erst zum Mund, sondern legt den Kopf quasi in das Schälchen. Und dann wird geschaufelt. Das machen meine Gasteltern auch, aber halbwegs lautlos. Er atmet den Reis schon fast ein, natürlich bis der Schlund randgefüllt ist. Am schlimmsten ist es, wenn wir Reisschleim essen, dann hört man ihn durch die ganze Wohnung!

Es ist erschreckend, was ich hier von Unwissenden über Deutschland höre. Ein Austauschschüler aus Taiwan hat mich doch tatsächlich gefragt, ob wir Hitler als einen Helden verehren und immer noch salutieren. Ich war erst mal perplex und wusste nicht, was ich tun sollte. Die beiden anderen Europäer und ich haben ihm dann einen Kurzüberblick über die Vorgeschichte und den Krieg gegeben. Das hatte er so nicht erwartet. Als wir zum ersten Mal Chinesisch hatten, sollten wir der Lehrerin etwas über unser Land erzählen. Ich fing damit an, dass ich im Norden wohne. Da fragt mich unsere Lehrerin doch ernsthaft, ob ich im Westen oder Osten des geteilten Deutschlands lebe. All dieses Halbwissen ist erschreckend.

Am Freitag war ein Fernsehteam in unserer Schule. Wir mussten in einem Raum, der wie ein Universitätshörsaal aussah, eine kleine Rede halten und einen Text vorlesen, selbstverständlich auf Chinesisch. Die kleinen Selbstbeschreibungen sahen bei allen ähnlich aus. Herkunft, Name, chinesischer Name und Alter. Die Texte waren über chinesische Feste. Die beiden deutschen Lehrer aus Berlin waren auch da. Nach unseren Reden und den von besonders guten chinesischen Schülern wurden einige von uns noch in dem vollen Hörsaal interviewt. Jede Aufregung vor einem Referat in der Schule ist nichts dagegen. Wie immer ging bei meinem Alter ein ungläubiges Raunen durch das Publikum. Niemand glaubt mir, wenn ich sage, dass ich 16 Jahre alt bin. Die deutschen Lehrer dachten, ich sei 18, was ja noch relativ nah dran ist, aber die Chinesen haben mich bis jetzt alle auf 21 bis 25 geschätzt. Sie können uns nicht einschätzen und wir sie nicht. Wenn ich eine Chinesin auf der Straße sehe, die aussieht wie 20, kann ich davon ausgehen, dass sie 28-35 ist.

Am gestrigen Morgen wurde ich von einer Sirene geweckt. Ich dachte zuerst, dass es eine Feuerübung der Grundschule sei, aber nirgends waren Kinder. Alle Menschen waren so wie immer. Die Sirene erinnerte mich eher an die aus dem zweiten Weltkrieg, welche mitten in der Nacht losgingen, wenn alliierte Flugzeuge gesichtet wurden. Es war ein seltsames Gefühl, denn nach einigen Minuten verstummten sie und fingen kurze Zeit später wieder an. Außerdem war ich allein zu Haus und konnte niemanden fragen, was los ist. Ich werde nächste Woche mal in der Schule ‘rumfragen, vielleicht kann mir da ja jemand weiterhelfen.

Falls es da draußen Leute geben sollte, die denken „Oh man wieso meldet der sich denn nicht?“, schreibt mich am besten an. Wenn ich ins Internet kann, dann reicht die Zeit meistens nur, um Mails zu beantworten, nicht aber um mir Gedanken darüber zu machen, wem ich noch schreiben könnte.

Das war es dann auch schon wieder mit Blogeintrag Nummer 2. Er ist tatsächlich noch länger als der erste. Nach drei Stunden bin ich jetzt todmüde und gehe schlafen. Ich denke, dass der Bericht spätestens morgen online ist. Hoffentlich hat euch auch der zweite Beitrag gefallen, wenn ja, erzählt es gerne weiter.

Liebe Grüße aus einem der fernsten Länder für einen Deutschen.

Euer Joshy! J


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Montag, 13. September 2010

13.09.2010 Neues direkt aus China

Hey Ladies!

Ich hab meinen Stecker in eine Steckdose bekommen, das heißt ich kann meinen Laptop laden und einen Blogeintrag verfassen! J Da ich überhaupt keine Ahnung habe, was meine Mutter bisher so reingeschrieben hat erzähle ich einfach mal ein bisschen.

Die Stadt hier heißt Jiujiang und hat insgesamt rund 4.600.000 Einwohner. Von frischer Seeluft kann ich nur träumen. Wir liegen ziemlich weit im Land drin. Ihr könnt den Stadtnamen ja mal googlen oder so. Von Reichtum ist die Gegend hier nicht gerade geprägt, wenn man sie mit Hamburg oder Deutschland generell vergleicht. Entsprechend niedrig sind die Lebenshaltungskosten. Der Bus kostet gerade mal 1 Yuan, 550 ml eiskaltes Wasser 1,50 und ein Abendessen im Restaurant für vier Personen 40-50 Yuan, inklusive Getränke. Der Wechselkurs liegt bei 1:9, 1 Euro entspricht 9 Yuan. Ich werde die Preise immer nur in Yuan angeben, ihr könnt euch dann selber ausrechnen wie viel das wäre. ;-)

Meine Gastfamilie ist superfreundlich! Die Eltern sprechen nicht ein Wort Englisch und der Sohn auch nur schlecht. Ganzkörperverständigung ist also angesagt. Klappt auch ganz gut bei den wichtigen Sachen. Essen, Trinken, Duschen, Schlafen. Die haben zwei Wohnungen, hört sich erst mal phänomenal an, aber wir sind hier in China. Das „new house“ ist ein relativ großes Apartment. Ich bin ganz gerne dort, weil ich mein eigenes Zimmer habe, die Klimaanlage ständig läuft und hier Dusche und Toilette sind. Weil hier Dusche und Toilette sind? Ja ja ganz recht! Da komm ich gleich zu. Leider ist das neue Haus so weit weg von der Schule, deswegen schlafen wir hier entweder nur am Wochenende oder kommen in der Woche nur zum Schlafen her. Den Tag nach der Schule verbringen wir im „older house“. Die kleine spartanische Wohnung liegt auf dem Gelände der Schule meiner Gastmutter. Sie ist Lehrerin und alle Angestellten haben dort eine kleine Bleibe. In den vier Wänden teil ich mir mit meinem Gastbruder ein Doppelstockbett. An den Wänden ist ab und zu ein bisschen Schimmel und Dreck, aber soweit ich weiß, ist hier noch keiner gestorben. Kommen wir zu den sanitären Einrichtungen. Die Dusche ist ein Wassereimer mit Schlauch und Kelle, außerdem „duscht“ man sich über dem Klo. Das „Klo“ ist ein Loch im Boden mit zwei Trittflächen für die Füße. Es ist, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig. Der Satz meines belgischen Freundes Bart trifft es immer wieder. „That’s really something.“ Ob das grammatikalisch hundertprozentig einwandfrei ist, weiß ich nicht, aber irgendwo passt es wie „Arsch auf Eimer“! Den Spruch hat er auf der Hinfahrt mit dem Zug gebracht, als er aus dem Fenster geguckt hat. Man kann einfach nicht beschreiben, wie es hier ist. Es ist halt etwas.

Nun zur Umgebung. Wenn ihr es euch auf einer Karte oder im Internet anseht, dann werdet ihr bemerken, dass hier ziemlich viel Wasser ist. Viele Seen und Flüsse. Wie sauber doch unsere Elbe ist! Im Norden, Süden, Osten oder Westen ist ein Nationalpark mit Bergen und Wäldern. Der Weg den „Lushan“ hoch ist von einer Treppe geprägt. Die Stufen bilden abgeflachte, große Steine. Ein ganz schöner Akt für einen Hamburger Jung! Die Natur ist atemberaubend. Alles ist so viel größer als in Hamburg. Die Libellen, die Schmetterlinge sogar die Ameisen. Am Wegesrand und überall um einen herum wächst Bambus. Ab und zu kreuzt ein kleiner Gebirgsbach den Weg und wird gerne als Erfrischung genutzt. Meine Familie geht da jedes Wochenende hin und wandert. Na ja, das bleibt mir wohl nicht erspart, aber die Natur ist es immer wieder wert. Wie hoch der Berg ist, weiß ich nicht genau. Ich hab etwas von 1800 Metern im Kopf, aber ich kann mich irren.

Das Klima ist eher medium-geil. Am Anreisetag hatten wir um die 45°C, so ein Wetter liebt der Joshy – Nicht! Normalerweise haben wir hier 35 Grad und es ist eigentlich windstill. Die Sonne scheint zwar, jedoch sieht man sie durch den Smog, der über der Stadt hängt nicht. Genauso ist es mit dem „blauen“ Himmel und den Sternen. Ventilatoren und Schweiß laufen eigentlich 24 Stunden am Tag. Ich befürchte, dass ich zu wenig Deodorant mitgenommen habe.

Anpassungsfähig muss man sein, wenn man hier nicht verhungern will. Zu jeder Mahlzeit gibt es natürlich Reis und dann stehen immer unzählige Schälchen mit irgendetwas auf dem Tisch. Mal ist es Tofu, dann Hühnchen und ein anderes Mal ist es etwas, was mein Gastbruder nicht übersetzen kann, also unbekannt. So viele seltsame Sachen musste ich hier noch gar nicht essen. Es waren erst drei Gerichte, die man bei uns normalerweise nicht bekommt. Gegrillte Hühnerfüße (oder etwas größeres), Schildkröte und Frösche. Froschschenkel kennt man ja vom Hören aus Frankreich, aber die essen den kompletten Frosch. Hier wird generell alles gegessen. Es sind immer Knochen im Spiel, die in den Mund gesteckt und abgeknabbert werden. Mit Stäbchen versteht sich! Beim Essen darf man nicht nachdenken. Der Schildkrötenkopf auf dem Tisch guckt nicht in deine Richtung und die Hühnerfüße sind nicht den ganzen Tag durch Exkremente gelaufen. Alles ist extrem. Entweder ist es furchtbar süß oder unglaublich scharf. Chilischoten sind überall zu finden und daran wird auf keinen Fall gespart. Milch, die arm an Laktose ist, ist eher nicht so lecker. Dafür ist sie mit ordentlich Zucker angereichert, wie so vieles. Auf den Saftflaschen wird mit 30% Fruchtgehalt geworben, so schmeckt es auch. Irgendwie ist alles künstlich und zu süß. Na ja, das Wasser ist ganz gut.

Es wird hier nur chinesische Musik gehört. Mal kommt aus einem Geschäft „Just Dance“ von Lady GaGa oder ein Song der Backstreet Boys. Nicht das allerneuste der westlichen Welt läuft hier. Den Schock habe ich im Auto bekommen. Das Radio läuft und ich achte zuerst gar nicht drauf, doch irgendwann bemerke ich es. Als ich die Worte „Cherry, cherry Lady“ vernehme. Was soll man 2010 auch sonst für deutsche Musik hören?! Modern Talking ist angesagt. Ach her jemine.

Die Schule ist skurril. Sie ist aufgeteilt in 12-14 und 15-18 Jahre. Unsere Schule ist nicht gerade winzig. Ein Kunstrasenplatz, eine Laufbahn, mindestens 15 Tischtennisplatten, zwölf Basketballplätze und noch so einiges anderes. Außerdem soll noch ein Gebäude gebaut werden, ich hab zwar keine Ahnung, was es ist, aber es sieht verdächtig nach einer Schwimmhalle aus. Das erste Haus wird von einem riesigen Torbogen geziert. Davor steht der Fahnenmast an dem jeden Montag die Fahne zur Nationalhymne gehisst wird. Alle starren uns an und sagen „Hello!“ oder „Hi!“. Mittlerweile ist es etwas nervig. Diese Woche ist irgendetwas mit Militär. Heute war der erste Tag. Alle Klassen meiner Stufe stehen jeweils mit einem Mann in Uniform auf dem Sportplatz und marschieren, drehen sich und schlagen die Hacken zusammen. Ich hab mir erst mal meinen ersten chinesischen Sonnenbrand geholt, und was für einen! Mindestens morgen muss ich nicht mitmachen, sondern darf im Schatten sitzen und zugucken. Ich wollte eigentlich meine Kamera mitnehmen, aber es scheint so, als wäre sie gerade kaputt gegangen. Das Objektiv schließt sich nicht mehr. -.-

Es ist nicht immer toll „prominent“ zu sein, das merkt man hier besonders. Die ersten paar Tage mag es ja ganz lustig sein, dass einen alle angucken, aber es wird anstrengend. Völlig egal wo ich bin, jeder starrt mich an. Kleine Kinder zeigen mit dem Finger minutenlang auf mich, alte Leute kriegen den Mund nicht mehr zu und gucken unfreundlich und alles zwischen alt und jung gafft nur. Die Menschen machen Fotos von mir, zeichnen mich mit in ihre Landschaftsbilder und fassen meine Haut und Haare an. Wie ich es vermisse einfach nur einer von vielen zu sein und in der Menge zu verschwinden. Nur auffallen, wenn man es auch will. Hier kann ich keinen unbeobachteten Schritt machen. Der Ausländer trinkt Sprite, also müssen wir es auch trinken. Oh guck mal der Ausländer kratzt sich am Kopf, vielleicht sollten wir das besser auch machen. Alles so ‘ne Nachmacher hier! ;-/

Der Verkehr ist äußerst, ehm, nennen wir es mal: Anders! Angeschnallt wird sich grundsätzlich nicht. Aber wieso auch, schließlich kommt man nur selten über die magische 50 km/h Marke. Bremsen werden auch eher vernachlässigt, man hat ja eine Hupe. Die Stadt würde ein unglaubliches Geschäft machen, wenn sie für jedes Mal hupen einen Yuan kassieren würden. So, wie ich das bisher einschätzen kann, herrscht hier das Gesetz des Stärkeren. Groß vor klein und wer zögert verliert! LKW -> Bus -> Kleintransporter -> Auto -> Dreirad -> Motorrad -> Motorroller -> Fahrrad -> Fußgänger. So ungefähr sieht die Rangordnung aus. Vielleicht sind Busse auch an erster Stelle, weil die Bremsen meistens nicht mehr wirklich funktionieren. Die Busse werden hier gefahren bis sie auseinanderfallen und dann am liebsten noch weiter. Beim Anfahren ersticken die nächsten drei Autos in einer schwarzen Wolke. Außerdem ist der Bus erst voll, wenn die Menschen wieder herausfallen. Zebrastreifen sind eigentlich nur dafür da, damit der Asphalt nicht so eintönig ist. Passanten müssen die kleinen Lücken zwischen den Autos und Zweirädern abpassen und dann einfach zwischen zwei Spuren stehenbleiben. So kommt man Schritt für Schritt voran. Falls man ganz falsch stehen sollte, bekommt man das akustisch sehr schnell mit. Denn dann geht der Finger nicht mehr von der Hupe ‘runter. Eigentlich ganz einfach.

Ich habe in meinem Zimmer ein Internetkabel gefunden, aber es funktioniert nicht. Mist. Naja ich will auch nicht zu viel deutsche Sprache um mich herum haben. Es ist schon so schwer genug. Den ganzen Tag sich in der Schule auf Englisch unterhalten, versuchen Chinesisch zu lernen und abends auf Deutsch Tagebuch schreiben und möglicherweise Mails beantworten.

Also mehr fällt mir jetzt so spontan auch nicht mehr ein, aber ich denke, ihr habt nun ein kleinen Eindruck von meinem chinesischen Leben. Ich hoffe, dass ich den Bericht am 8. September zu meiner Mama schicken kann, dann müsstet ihr ihn bald lesen können. Ach dabei fällt mir noch ein, dass ich einen chinesischen Namen habe. 曾希,Zeng Xi, lautet er und wird eher ausgesprochen wie „zen(g) chi“. Zeng ist der Familienname meines Gastvaters und Xi soll wohl so etwas wie Hoffnung heißen. Vielleicht, weil meine Gastmutter die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat.

So mehr fällt mir jetzt aber wirklich nicht mehr ein. Mit diesen Worten verabschiede ich mich und hoffe, dass ihr nun etwas schlauer seid. Ich denke täglich an euch alle und vermisse euch. Aber mir geht es trotzdem gut hier. Verzeiht mir, falls ich mich noch nicht persönlich bei euch gemeldet habe, doch ich habe ziemlich viel um die Ohren.

Liebe Grüße aus dem bevölkerungsreichsten Land der Welt.

Euer Joshy! J