Samstag, 9. April 2011

Jiujiang, den 09. April 2011

Moin Moin!
Keine 80 Tage verbleiben und passend dazu, bricht der Frühling so richtig aus.
Nachdem es in den letzten Wochen gewohnheitsgemäß auf und ab gegangen war, liegen die Temperaturen jetzt gefestigt über 20 Grad Celsius. Plötzlich scheint hier tatsächlich etwas wie Leben einzukehren. Die wenigen Bäume, die im Winter ihre Blätter abgeworfen haben, treiben wieder aus und alles blüht. Sogar das sonst so braun-gelbe Gras wird zu etwas, das man durchaus grün nennen kann.
Dass Datenschutz nicht gerade die größte Spezialität Chinas ist, ist allgemein bekannt. Allerdings ist es schon erschreckend beeindruckend, wie schnell sich hier persönliche Informationen verbreiten. Da bekomme ich doch vor einigen Wochen ein SMS von einer unbekannten Nummer mit dem Inhalt „Hey boy“. Auf die Frage, wer denn der geheimnisvolle Absender sei, erreicht mich eine Antwort, in der übersetzt steht „Du kennst mich wahrscheinlich nicht, aber ich möchte mit dir befreundet sein.“ Einige Nachrichten später stellte sich dann heraus, dass die Person ein Mädchen aus unserem „Abiturjahrgang“ ist, die meine Nummer über eine Freundin hat. Das ist mir bis heute ein Rätsel, denn aus ihrem Bekanntenkreis hat niemand meine Nummer. So kann das hier gehen.
Als mich ein Essenspaket aus der Heimat erreichte, war die Freude groß. Deswegen würde gleich ein paar Tage später gekocht. Kartoffeln, grüne Bohne, Rotkohl und eine Maggi-Soße. Das war gar nicht so einfach mit nur zwei Gaskochstellen, von denen eine nicht wirklich funktioniert. Letztendlich hat es aber doch äußerst gemundet, auch wenn es seltsam war, ein so deutsches Essen mit Stäbchen zu verputzen. Meiner Gastfamilie scheint es auch geschmeckt zu haben, auch wenn sie mehr gelacht als gegessen haben. Geviertelte Kartoffeln, Bohnen, Rotkohl und Soße auf einem Teller sind ja auch schon etwas Lustiges.
Zwei kleine Entdeckungen bescherten uns ein unglaubliches Frühstück, als ein Franzose und eine Dänin zu Besuch waren. Es gibt hier doch tatsächlich eine „Bäckerei“, die frischgebackenes Baguette verkauft. Die zweite Entdeckung war jedoch viel imposanter. In der letzen Ecke eines Supermarktes verstecken die doch wirklich Erdnussbutter, Marmelade und nutella. So saßen wir vier Europäer in der Bäckerei mit vier Baguettes, Blaubeermarmelade, Erdnussbutter und nutella. Jetzt brauchten wir doch nur noch Messer. Nichts leichter als das – wäre man in Deutschland! Aber in China hat man es nicht so mit Messern, hier gibt es nur das große Hackbeil zum Zerstückeln von Fleisch mit Knochen. Als Antwort auf unsere Nachfrage gab ein Angestellter uns einen kleinen Plastiklöffel und eine Plastikgabel. Man könne die Gabel ja umdrehen und zum Schmieren verwenden. Ja, ne ist klar. Wäre der/die/das nutella nicht so unglaublich hart gewesen, hätte es ja auch funktionieren können. Zumindest war es vermutlich das unterhaltsamste Frühstück aller Zeiten.
Seit der Entdeckung des Baguettes statten wir besagter Bäckerei immer mal wieder einen Besuch ab und essen einfach nur ein trockenes Baguette. Dabei ist mir aufgefallen, dass man chinesisches Essen nicht kauen muss. Die Gerichte hier sind meistens so klein oder weich, dass man nicht wirklich kaut. Es wird ein bisschen mit der Zunge darauf herumgedrückt und dann einfach geschluckt. Dementsprechend kann so ein einfaches Baguette ganz schönen Muskelkater auslösen. Ich werde die verbleibenden elf Wochen fleißig trainieren, damit ich für Deutschland gewappnet bin.
In den letzten Wochen werden die weltweiten Nachrichten selbstverständlich von einem Land dominiert: Japan. Es ist unfassbar schrecklich, was dort passiert ist und immer noch passiert und mein Mitgefühl gilt den Opfern dieser Katastrophe. Vermutlich vertritt jedes Land dieses Planeten dieselbe Meinung – außer China. Was ich hier die letzten Wochen für Kommentare und Reaktionen miterlebt habe, ist wirklich erschreckend. Es gibt hier kaum Menschen, die so denken, wie wir. Natürlich sind China und Japan aufgrund der Geschichte alles andere als gute Freunde, aber irgendwo muss man mal auch eine Grenze ziehen. Als mein Bruder am Tag des Unglücks an den Essenstisch kam, erzählte er gerade von den Nachrichten und dem schweren Seebeben vor Japan und das Einzige, was meiner Mutter in dem Moment einfällt, ist: „Wir hatten vor ein paar Tagen in der Provinz Yunnan auch ein Erdbeben mit einer Stärke von 5,8.“ Kein Funken Mitgefühl. Damit verhält sich meine Mutter wie die meisten Chinesen. Andere reagierten sogar noch extremer und sagten: „Ach, die Japaner haben das verdient!“ Bei solchen Äußerungen fehlt mir jedes Verständnis. Egal, was in der Vergangenheit passiert ist, so etwas denkt man nicht mal! Als ich eine Freundin aus meiner Schule nach ihrer Meinung zu der Katastrophe gefragt habe, sagte sie, es sei schrecklich, was ist Japan passiere, allerdings sei sie Chinesin, deswegen möge sie Japan nicht und es sei ihr gleichgültig. Die Schüler scheinen zu wissen, dass es in Japan Probleme mit einem Atomkraftwerk gibt, jedoch wirkt es so, als wüssten sie nicht über die Gefahren der atomaren Strahlung Bescheid.
Kommen wir wieder zu einem etwas erfreulicheren Thema: Käse. Käse?, mögen sich jetzt einige fragen. Ja, Käse. Wir waren vor einer Woche in Nanchang und dort gibt es eine Metro, also die Großhandelskette. Dort haben wir uns erst einmal ordentlich mit westlichen Produkten eingekleidet. Unteranderem auch Käse, denn den gibt es in China nicht. Jetzt mögen sich wieder einige fragen: Und mit was belegen die Chinesen sich dann ihre Brote? Ganz einfach: Mit Nichts, denn Brot isst man hier nicht, wie bei uns. Es gibt hier etwas Weißbrotähnliches mit Unmengen an Zucker, aber das gilt eher als Süßigkeit, nicht als Mahlzeit. So sitze ich jetzt täglich mit meinem holländischen 3-Kilo-Edamer auf meinem Bett und lasse es mit so richtig gutgehen. Außerdem gibt es noch Salzstangen, Leibniz-Butterkekse, Zwieback, Salami, Müsli und Gewürzgurken. Als ich meiner Mutter ein Stück Käse anbot, war ich äußerst gespannt, was sie antworten würde. Vermutlich ist Edamer nicht der beste Käse zum probieren, da er relativ stark ist, aber das lässt sich nun mal nicht ändern. Das Gesicht verzog sich und die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: 不好吃 (bu hao chi), was so etwas heißt wie: „Schmeckt nicht gut.“ Ich konnte nicht anders und musste einfach lachen.
Es gibt wieder Neues aus der hochgeschätzten chinesischen Duplikatsindustrie. Da hätten wir zum Beispiel die geachteten Handys von PHILIDS und PNILIDS. Außerdem gibt es elegant schlichte Handtaschen von Bior und Jacken von abibas. Immer wieder unterhaltsam.
Chinesische Kleinkinder brauchen keine Windeln, man öffnet ihnen einfach die Hosen. So sieht man überall kleine Kinder mit zerschnitten Hosen herumlaufen. Denen ist es dann auch erlaubt sich überall zu erleichtern. Straße, Laterne, Wohnzimmer, Supermarkt. Alles kein Problem. So auch mein jüngster Cousin, der es sich wohl zu Lebensaufgabe gemacht zu haben scheint, mir ans Bein zu pinkeln. Jedes Mal, wenn ich mich in der Wohnung befinde, in der er wohnt, versucht er mich anzupinkeln. Bisher hat er es allerdings erst zweimal geschafft. Einmal gab es nur einen Streifschuss am Hosenbein, weil ich rechtzeitig wegziehen konnte; das andere Mal tränkte er jedoch meinen kompletten Schuh. 1:0 für ihn.
Das Verhältnis zwischen Jungs und Mädchen im Teenageralter in China ist nicht zu vergleichen mit dem in Deutschland. Ein Satz meines 16-jährigen Bruders bringt das ziemlich gut zum Ausdruck. Er hatte seiner Mutter gerade etwas aus der Schule erzählt und sie ihn gefragt, was denn seine Mitschülerin darüber denke. „Weiß ich nicht. Sie ist ein Mädchen, mit ihr rede ich doch nicht!“ Eine feste Freundin oder einen Freund hat der durchschnittliche Chinese erst nach der Schule, das heißt frühestens in der Universität. In der Schulzeit muss man sich ganz aufs Lernen konzentrieren, denn sonst bekommt man keine guten Noten, und jeder weiß: keine guten Noten = kein guter Abschluss, kein guter Abschluss = keine gute Universität, keine gute Universität = kein guter Job, kein guter Job = kein Geld und kein Geld = kein glückliches Leben. So einfach ist das. Deswegen hat man natürlich besseres zu tun, als eine Freundin zu haben. In Deutschland würde so etwas wahrscheinlich erst besonders dazu führen, dass jeder eine Freundin oder einen Freund hätte. Es liegt in der Natur eines Jugendlichen Grenzen auszutesten und zu überschreiten. In China ist das allerdings nicht der Fall.
Chinesen sind unglaublich langsam. Wenn ich auf unterwegs bin, dann gehe ich im Slalom um alle herum. Wenn langsames Gehen olympisch wäre, wäre China unangefochtener Weltrekordhalter. Es ist wirklich unglaublich, wie langsam die gehen können. Ich hab es mal versucht, mich einfach so mittreiben zu lassen, das endete allerdings darin, dass ich jedem in die Hacken getreten bin.
Wenn es in Deutschland etwas geben sollte, das die Anzahl der Einwohner übertreffen sollte, dann wären es vermutlich Handys. In China sind es definitiv die Regenschirme und Atemschütze. Überall laufen die Menschen mit Stoffmasken vor dem Mund herum. Sie sind weiß, beschrieben oder im Hello Kitty Muster. Aber hat ja auch einen großen Vorteil, zum Beispiel muss man, wenn man krank ist, nicht wegen der Ansteckungsgefahr zu Hause bleiben. Man setzt sich die Maske auf, geht in die Schule und verpasst glücklicherweise keinen Unterrichtsinhalt. Das andere sind die Regenschirme. Sobald ein Tröpfchen vom Himmel fällt, gehen überall die Schirme auf. Jeder Mensch läuft mit einem Plastikdach über dem Kopf herum. Da wird es so gut wie unmöglich sich auf den sowieso schon überfüllten Gehwegen fortzubewegen, ans Slalomgehen gar nicht zu denken.
Jede Klasse muss ihren Raum selber putzen. Jeden Tag wird mit dem Besen durchgefegt und jeden Freitag oder Samstag einmal alles durchgewischt. Wir Ausländer müssen das in unserem Klassenraum natürlich auch machen, allerdings ist das Erste, was man beim Eintreten denkt: Puh, das wird aber ordentlich vernachlässigt. Aber wer hat auch schon Lust auf so eine Sisyphusarbeit. Es ist hier so dreckig und staubig, dass nach wenigen Minuten schon wieder alles unter einer dicken Staubschicht liegt.
Anfang dieser Woche war ein Fest zu Ehren der verstorbenen Menschen. In China besucht man nämlich nur einmal jährlich und das immer zum gleichen Zeitpunkt den Friedhof. In die Gräber, die eher an Hügelgräber mit Grabsteinen erinnern, werden Plastikblumen gesteckt. Außerdem verbrennt man eine Menge Papiergeld und legt Obst vor die Gräber. Zum Schluss verbeugt man sich dreimal vor dem Grab. Danach wird gegessen und das war eigentlich alles, was wir an dem Tag gemacht haben. Die Friedhöfe liegen immer außerhalb der Städte auf dem Land. Da es an dem Tag ziemlich windig war, war das einzige, das man hörte, das Rauschen und Flattern der Plastikblumen und –fahnen im Wind.
Vor wenigen Tagen sah ich im Badezimmer irgendetwas hinter eine Leiste krabbeln. Also bin ich wieder raus und habe meine Kamera geholt – man weiß ja nie. Meine Mutter fragte nur verwirrt, was ich denn mit der Digitalkamera auf dem Klo wolle. Verständlich. Mittlerweile war das Tier herausgekommen und es stellte sich heraus, dass es eine knapp fünf Zentimeter lange Kakerlake war. Sofort holte meine Mutter eine Schere, um das Tier zu töten. Allerdings sind Kakerlaken verdammt schnell und so ereignete sich eine amüsante Verfolgungsjagd. Irgendwann lief sie, die Kakerlake, an einer senkrecht verlaufenden Glasscheibe entlang. Meine Gastmutter erwischte ein Bein, die Kakerlake verlor die Haftung, fiel und verschwand in Richtung Wäscheberg. Daraufhin zuckte meine Mutter einmal mit den Schultern und sagte: „Ach egal.“Ich werde mich jetzt mal an den Essenstisch begeben, denn das Abendessen steht an. Hühnerfüße mit Schweinefüßen und Reis. Mhm ich kann es kaum erwarten.
Liebe Grüße aus dem blühenden Süden.

Euer Joshy!

Sonntag, 27. Februar 2011

Jiujiang, den 27. Februar 2011

你们好!
Zuerst möchte ich mich entschuldigen, dass seit dem letzten Bericht nun schon knapp drei Monate vergangen sind. In den letzten achtzig Tagen ist so einiges passiert. Fange ich mal mit dem 12. Dezember an.
Wie schon das letzte Mal angekündigt sollte es ein nicht gerade trockener dritter Advent werden. Laut Wetterbericht fielen 20 bis 40 Liter Regen pro Quadratmeter. Da ließ die Vorweihnachtsstimmung etwas zu wünschen übrig. Die folgenden drei Tage floss das Wasser in der ganzen Stadt gemächlich ab und die Sonne trocknete die nassen Straßen. Bis zum Donnerstag! Als müsse uns das Wetter noch einmal beweisen, dass es hier macht was es will, lagen plötzlich zehn Zentimeter Schnee. Jiujiang im Ausnahmezustand! An den Straßenrändern stauten sich hunderte Meter lang die Lastwagen, da sie nicht auf die zugeschneiten Autobahnen gelassen werden durften, die Busse schlichen mit geschätzten zehn km/h Spitze durch die Stadt und in der Schule wurden plötzlich die Heizungen (Klimaanlagen) angeschmissen. Als Deutsche kennen wir diese Grundsituation ja schon ziemlich gut. Die Winter werden kälter, Schnee und Eis nehmen zu und trotzdem sind wir alle immer wieder aufs Neue total überrascht wenn der erste Schnee fällt und der Verkehr zusammenbricht. Jetzt stelle man sich dieses Szenario jedoch mal in einer Stadt vor, in der es im Sommer bis zu 45 Grad über null sind und kein Streudienst existiert. In der Schule hatte man wegen des ersten Schnees sogar die roten Teppiche ausgerollt, auch wenn das nur ein Schutz gegen die Rutschgefahr war. Als ich dann völlig durchnässt mit meinen grauen Lacoste-Stoffschuhen wieder zu Hause ankam, hatte meine fürsorgliche Gastmutter bereits dicke Winterschuhe und zwei paar lange Unterhosen gekauft. Wieso denn auch nicht! In der kommenden Nacht kamen noch ein paar Zentimeter Schnee dazu, sodass Bart und ich den Schülern aus China, Thailand und Italien erst einmal zeigen mussten, wie eine richtige Schneeballschlacht funktioniert. Nachdem uns der Schulfotograf dann auch noch auf gefühlten zweihundert Bildern festgehalten hatte, durften wir endlich wieder in unseren warmen Klassenraum. Für Tashi, den Taiwanesen, und Phakdee, den Thailänder, war es der erste Schnee in ihrem Leben. Schon seltsam. In den letzten zwei Wochen des Jahres hielten sich die Temperaturen relativ konstant zwischen 15 Grad über und unter null.
Weihnachten war schon eine äußerst bizarre Angelegenheit. Ein paar Tage im Jahr, an denen man mit der Familie und den Menschen, die einem wichtig sind, zusammen ist und sich gegenseitig etwas schenkt. Und natürlich nicht zu vergessen: Das Weihnachtsesssen! Dieses Jahr war da nur dieser kleine Unterschied, dass ich 10.000 Kilometer entfernt in einem Land bin, wo man Weihnachten gar nicht wirklich kennt. Auch wenn ich, meiner Ansicht nach, immer jemand war, der ohne Weihnachten und Stress um die Geschenke hätte überleben können, fehlte da dieses Mal irgendetwas. Zwar hörte man ab und zu „Merry Christmas“ oder vergleichbares, aber das war trotzdem nicht ganz das Gelbe vom Ei. Unsere Schulleitung hatte uns zu einem Essen in ein Hotelrestaurant eingeladen. Die Zeit nach der Schule verbrachten Bart und ich bei mir zu Hause mit ein paar folgen Scrubs und einer heißen Schokolade bei McDonald’s zu Jingle Bells und Rudolph, the Red-Nosed Reindeer. Als es dann am frühen Abend endlich mit einem Kleinbus zum Hotel ging, kam so langsam Weihnachtsstimmung auf. Im Hotel wurde auf einer kleinen Bühne die ganze Zeit irgendetwas aufgeführt. Saxophon, Karaoke, Bodybuilder-Show. Das Beste war definitiv das all-you-can-eat-Buffet, auch wenn es etwas schwer war sich den Appetit zu bewahren, während sich drei eingeölte, halbnackte Chinesen auf einer Bühne präsentieren. Nachdem die Veranstaltung vorüber war, wollten Bart, Tashi und ich uns einen Ort suchen, wo man den Abend angenehm ausklingen lassen konnte. Also landeten wir nach einer ewiglangen Suche in einem Coffee-Shop und unterhielten uns noch für zwei Stunden. Auf dem Weg dahin waren wir direkt einem Journalisten über den Weg gelaufen. Das Foto war gleich am darauffolgenden Tag in der Zeitung. Das Komischste an diesem Tag war jedoch, dass wir zu Schule mussten. Heiligabend in der Schule …
Kurz nach Weihnachten herrschte in Jiujiang richtiges Hundewetter. Es war saukalt! Darauf hatte ich schon seit Wochen gewartet, denn das heißt, dass Hund gegessen wird! Ich würde jetzt zu gerne eure Gesichter sehen. Hund wird im sogenannten 火锅 (huoguo = wörtlich Feuertopf) gemacht. Das ist eine in den Tisch eingelassene Schale, die von unten mit einer Gasflamme erhitzt wird. Darin befinden sich Hund und Suppe, den Rest hat man auf dem Tisch. Auf kleinen Tellern liegen Salate, Pilze, Fleisch, Nudeln, und noch vieles mehr, das nach Belieben in den Topf geworfen und gekocht werden kann. Dazu gibt es noch eine unglaublich scharfe Suppe. Ob ihr es euch im verklemmten Deutschland jetzt vorstellen könnt oder nicht, aber es war das beste Gericht, das ich bisher in China gegessen habe! Das Hundefleisch war im Prinzip wie Rind, nur etwas fettdurchzogener und um ein Vielfaches zarter. Im Nachhinein erzählte mir mein Gastvater dann stolz grinsend, dass wir Welpen gegessen hätten. Das erklärt auch das zarte Fleisch.
An Silvester war kaum etwas los. Auch wenn wir allen Personen, die wir sahen, ein frohes neues Jahr wünschten, wirkten sie doch eher irritiert als dankbar. Zu Beginn des neuen Jahres gab es dann doch tatsächlich drei freie Tage. Leider beliefen sich diese auf Samstag, Sonntag und Montag, aber was soll man machen. Am Dienstag musste ich auch noch zu Hause bleiben, weil ich mir eine ordentliche Erkältung eingefangen hatte. Am Freitag, den siebten Januar stand dann auch mein erster chinesischer Geburtstag vor der Tür. An diesem kompletten Freitag gratulierten mit doch tatsächlich acht Leute persönlich. Ich glaube, das wären in Hamburg sogar mehr, wenn ich mich den ganzen Tag im Haus aufhielte, aber macht ja nichts, dafür habe ich genug E-Mails bekommen. Danke noch einmal. Abendessen gab es in einem Restaurant mit meinen Eltern und meinem Bruder. Am Abend wollten Tashi, Bart, Phakdee, unsere Japanisch Lehrerin und zwei ihrer Freundinnen, die wir schon kannten, ausgehen. Und was liegt da in China näher als die Karaoke Bar? Die Computer dort verfügen auch über englische Lieder, was aber nicht unbedingt ein Pluspunkt ist. So sangen Bart und ich die auf uns zugeschnittenen Lieder: I Will Always Love You von Whitney Housten, My Heart Will Go On von Céline Dion, Everytime von Britney Spears und mein persönlicher Favorit als Duett gesungen Babie Girl von Aqua! Die an dem Abend entstanden Videos dazu, befinden sich aus gutem Grund in einem passwortgeschützten Ordner.
Eine knappe Woche später war es dann endlich soweit. Bart und ich fuhren mit unserer Austauschorganisation, dem American Field Service (AFS), nach 云南. Yunnan ist eine Provinz im Südwesten Chinas. Am Morgen des 13. Januars fuhren wir, weil es von Jiujiang (九江) aus keinen Flug gab, in unsere Provinzhauptstadt Nanchang (南昌). Dort trafen wir am Flughafen auf den Franzosen Pierre und die Dänin Marie, die den gleichen Flieger wie wir nehmen wollten. Von Nanchang ging es also nach Kunming (昆明), die Hauptstadt von Yunnan. In Kunming wurden wir von AFS-Mitarbeitern am Flughafen abgeholt und ins Hotel gebracht. Die nächsten sechs Tage ging es durch die Provinz von einer alten Stadt zur nächsten, zum Beispiel nach Dali (大理) und Lijiang (丽江). In Lijiang bin ich auch endlich dazu gekommen Insekten zu essen. An einem kleinen Stand gab es Heuschrecken, Maden, Mehlwürmer, große Fliegenlarven und etwas zehn Zentimeter langes und undefinierbares. Man kann es sich kaum vorstellen, doch diese frittierten Mehlwürmer schmeckten original wie Pommes! Da sollte sich McDonald’s mal Gedanken drüber machen - vielleicht als neue Auswahlmöglichkeit ins Happymeal? Die Natur in Yunnan war wirklich atemberaubend. Alles stand im kompletten Gegensatz zu Jiujiang. Nehmen wir als Beispiel einmal Kunming. Kunming ist ziemlich groß, hat rund acht Millionen Einwohner, ist relativ modern und extrem sauber. Nach rund fünf Monaten in Jiujiang hatte ich schon wieder ganz vergessen wie sauber Luft riechen kann. Nach dieser Woche wollten wir eigentlich gar nicht mehr zurück. Das Beste an diesen sieben Tagen war natürlich all die anderen Ausländer wieder zu sehen. Wir waren rund einhundert und es war verblüffend, wie ähnlich manche Situationen in ganz China sind. Gegen Ende der Reise war der Großteil der Ausländer krank geworden und auch ich hatte einen ordentlich Schnupfen, Husten, Hals- und Kopfschmerzen. Am 19. Januar ging es für uns gegen Abend zurück zum Flughafen. Nachdem Bart und ich eingecheckt und die letzten Minuten mit ein paar Freunden bei Kentucky Fried Chicken verbracht hatten, mussten wir es zum Gate. Da Pierre und Marie einen früheren Flug gebucht hatten, waren wir nur zu zweit. Auf einer Anzeigetafel hieß es, dass unser Flugzeug eine halbe Stunde Verspätung haben würde. Es wurde später und später. Eine Viertelstunde nach Ablauf dieser Zeit hörte ich geistesabwesend wie eine Flughafenangestellte etwas durch den Wartebereich rief und meinte das Wort „Nanchang“ gehört zu haben. Auf Verdacht schlossen Bart und ich uns der Menge an, die der Dame hinterher hastete. Wir wurden an den anderen Gates vorbeigeführt, passierten den Sicherheitscheck in umgekehrter Richtung und standen wieder vor dem Flughafen. Dort warteten bereits zwei Reisebusse. Der eine war längst voll und in dem anderen kämpften Fluggäste um die letzten Plätze. Um uns kurz zu versichern, fragten wir einen Passagier, der neben uns stand, ob das „unser Flug“ sei und zum Glück viel die Antwort positiv aus. Zwanzig Minuten später kam dann auch endlich der dritte Bus, in dem Platz für die verbliebenen Menschen war. Wir entfernten uns vom Flughafen und keiner wusste so recht, was jetzt passierte. Irgendwann standen wir in einem Stau, der auswegslos zu sein schien. Ein Betonmischer versuchte auf einer viel zu kleinen Straße zu drehen. So standen wir dann 45 Minuten da, ohne uns zu bewegen. Um 20:25 Uhr hätte unser Flugzeug in Richtung Nanchang abheben sollen, doch letztendlich kamen wir um 23:15 in einem Hotel in Kunming an. Dort gab man uns ein Zweibettzimmer, zwei Packungen mit Fertignudeln und die Informationen, dass in Nanchang zu viel Schnee liegt, um zu fliegen, außerdem wisse man nicht, wann es weiterginge. Zum Glück hatte ich ein paar Paracetamol in meinem Handgepäck, sonst hatten wir ja kaum was dabei. Dank der Flüssigkeitsregelungen hat man alle Badezimmerartikel im Koffer und Kleidung ja sowieso. Zwei gesundheitlich angeschlagene Ausländer in einem Hotel in einer anderen Provinz, keine Zahnbürste und keine frühe Aussicht auf einen Rückflug. Unsere Gastfamilien waren natürlich allerbester Laune. Am nächsten Morgen weckte man uns zum Frühstück, aber an Aufstehen war für mich nicht zu denken. Laut Bart sah ich aus „wie eine lebendige Leiche“. Gegen zwei Uhr am Nachmittag hieß dann plötzlich, dass es losginge. Also wieder ab in die Busse und zum Flughafen. Gegen 18:30 landeten wir endlich in Nanchang, wo der Gastvater von Bart auf uns wartete. Die 130 Kilometer zwischen Jiujiang und Nanchang stellten sich als Höllenfahrt heraus. Auf der zugeschneiten Autobahn waren nur gemächliche Geschwindigkeiten möglich und dann geschah auch noch das, was geschehen musste: Ein 30 Kilometer langer Stau „kurz“ vor Jiujiang. Irgendwann kamen wir dann an einer Ausfahrt vorbei, die einfach mal genommen wurde. Die nächsten gut zehntausend Meter führten uns über einen Feldweg parallel zur Autobahn. Das war wohl die schlimmste Autofahrt meines Lebens. Die Schlaglöcher waren so groß, dass wir auf der Rückbank immer wieder bis unter die Decke gefedert wurden. Das ließ die Kopfschmerzen auch nicht gerade verschwinden. Um elf Uhr abends kamen wir dann endlich in Jiujiang an, 24 Stunden später als eigentlich geplant. In Jiujiang waren 30 bis 40 cm Schnee gefallen, was zu einem Schulausfall in der kompletten Stadt geführt hatte.
Die nächsten Tage verbrachte ich krank im Bett. Das war natürlich ein typischer Ferienstart. Die vierwöchigen Winterferien hatten gerade begonnen und ich wurde krank. Erst am 24. Januar traute ich mich für einen Nachmittag bzw. Abend aus dem Haus. Da Tashi’s Rückreise nach Taiwan unmittelbar bevorstand, verbrachten er, Bart und ich den Nachmittag im Billardsaloon und den Abend in einem Restaurant, wo wir uns noch stundenlang unterhielten.
Danach ging die Grippe erst so richtig los! Eigentlich wollten mich ein Fernsehteam und die Zeitung interviewen, aber daran war gar nicht zu denken. In den Nächten bin ich ständig mit Hustenanfällen aufgewacht und tagsüber konnte ich kaum sprechen. Anfang Februar wurde es dann zum Glück ein wenig besser. Das Timing war ziemlich gut, denn vom 2. auf den 3. wurde das chinesische Neujahr gefeiert. Wir waren bei der Mutter meiner Mutter (姥姥). Insgesamt waren 21 Leute anwesend und es gab ein riesiges Mittagessen. Außerdem gab es für alle Kinder die sogenannten 红包 (hongbao). Das sind, wie der Name schon sagt, kleine „rote Beutel“, in denen die Erwachsenen den Kindern Geld schenken. Am frühen Nachmittag sind wir auch noch zu der Familie meines Vaters gefahren, wo es quasi ein zweites Mittagessen gab, was völlig überflüssig war. Danach war ich mir ziemlich sich das es jeden Moment einen lauten Knall geben würde und man meine Reste mit Handfeger und Schaufel zusammenkehren könne. Geknallt hat es auch verdammt laut, aber das aufgrund der chinesischen Feuerwerkskörper. Man kann sich kaum vorstellen, was das für Knallkörper sind! Die deutschen könnte man vergleichsweise im Kindergarten verteilen. Nach dem Abendessen bei 姥姥 fing das „geknalle“ auch bei uns an. Die Batterien von einem knappen Kubikmeter schossen minutenlang Raketen in den Himmel. Außerdem gibt es „Böllerschnecken“, die einen Durchmesser von 80 cm haben. Die werden dann ausgerollt, bis da so eine etwa zehn Meter lange Wurst liegt, die an einem Ende angezündet wird und dann Ewigkeiten knallt. Die Geräuschkulisse um Mitternacht ist jedoch wirklich unvorstellbar. In der kompletten Stadt knallt es und es hört sich an, als würde man sich bei einem Monsunregen unter ein Wellblechdach stellen.
Die anschließenden Tage verbrachten wir damit, uns den ganzen Tag in dem Haus von 姥姥 aufzuhalten. Das bestand im Prinzip darin, dass die Erwachsenen stundenlang 麻将 (majiang = Mah-Jongg) um Geld spielten und ich zuerst Elton‘s „Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen – Zum Glück bin ich keins!“ und dann „Verblendung“ von Stieg Larsson gelesen habe. Mittlerweile waren die Temperaturen wieder auf 22C° angestiegen.
Gegen Ende der Ferien zogen wir wieder in unser altes Haus. Passend dazu musste es natürlich wieder kälter werden. Im neuen Haus verfügen wir unglaublicher Weise über eine richtige Heizung, aber die bringt ja nichts, wenn es warm ist, während man da ist.
Am 14. Februar ging dann leider auch schon wieder die Schule los. Was an diesem Tag jedoch wirklich verblüffend war, war, dass die Straßen am Abend total voll waren! Nach diesem Weihnachtsfest, das unwissend im Hintergrund vorbeigezogen war, hatte ich im Leben nicht erwartet, dass der Valentinstag hier so populär ist. An jeder Straßenecke konnte man Blumen kaufen, was hier sehr ungewöhnlich ist, oder riesige Teddybären gewinnen. Die Fußgängerwege waren so von Pärchen überfüllt, dass es kaum ein Vorankommen gab.
Nachdem sich eine der Austauschorganisationen bei unserer Schulleitung beschwert hat, bekommen wir jetzt richtig Unterricht. 2005 waren die ersten Austauschschüler an unserer Schule und erst jetzt fangen sie richtig an zu unterrichten. Zuerst hat man uns in eine höhere Stufe und bessere Klasse gesteckt. Vorher waren wir in 高一九班 (gaoyi jiuban), das entspricht der neunten Klasse in der zehnten Stufe (also zum Beispiel die 10i) und jetzt sind wir in高二二班 (gaoer erban), was bei uns die zweite Klasse in der elften Stufe wäre. In China ist alles durchnummeriert, das heißt wir sind jetzt in der zweitbesten Klasse unserer Stufe. Unsere Schulleitung begründete das mit der Hoffnung, dass deren Intelligenz und Können auf uns abfärben würde. Na ja, wenn sie meinen. Jedenfalls ist die neue Klasse viel besser als die alte! Die Mitschüler sind älter, netter und reifer. Außerdem bekommen wir jetzt noch richtigen Unterricht. Wir haben jetzt pro Woche zehn Stunden Chinesisch und sechs Stunden chinesische Kultur. Mal sehen, wie das in nächster Zeit wird.
Letztes Wochenende sind Bart und ich ziemlich spontan nach Nanchang gefahren, da Pierre uns gefragt hatte, ob wir nicht vorbeikommen wollen würden. Unsere Eltern haben verblüffender Weise sofort zugestimmt. Also sind wir am Samstagmorgen mit dem Schnellzug nach Nanchang gefahren und haben da den Tag über mit Marie und Pierre verbracht. Nanchang ist echt noch mal eine ganze Nummer größer als Jiujiang und es waren so unglaublich viele Menschen in den Straßen unterwegs. Das war besonders für mich, als Hamburger, etwas unangenehm. Am Abend haben wir bei Pierre geschlafen und sind am Sonntagmittag wieder zurück nach Jiujiang gefahren.
Gestern in vier Monaten werde ich schon in Hamburg landen, das sind 119 Tage oder 17 Wochen. Das ist nicht mehr wirklich viel!
Ich bin jeden Tag wieder aufs Neue froh, dass ich in Jiujiang größer und kräftiger bin als der Durchschnitt, denn sonst hätte ich morgens am Bus schon verloren. Hier scheint jeder davon überzeugt zu sein, dass er nicht mehr in den Bus passt, wenn er nicht als erster drin ist. Dabei ist es völlig egal, ob bereits siebzig oder sieben Menschen im Bus sind. Da in China ja nur vorne und nicht auch hinten eingestiegen wird, ist der Kampf umso größer. Die Alten sind die Schlimmsten! Es wird jede noch so kleine Lücke im Menschenknäuel vor der Bustür ausgenutzt, um noch den Ellenbogen vor einen anderen zu schieben. Es macht keinen Unterschied, ob dieser jemand ein zwei Meter großer Boxer oder ein fünfjähriges Kleinkind ist. Im Bus geht es dann genauso weiter. Wenn ein alter Mensch den einzigen freien Sitzplatz in der hintersten Ecke des Busses sieht, dann muss er den so schnell wie möglich haben. Mit Schlägen und Tritten wird sich bis zu diesem einen Sitz durchgekämpft – auch wenn man an der nächsten Station wieder raus muss.
So, dann komme ich jetzt wieder zu meinem Lieblingsteil: Eure Fragen.
Gibt es außer Bussen noch anderen Personen-Nahverkehr in Jiujiang?
Etwas wie U-Bahnen oder Straßenbahnen haben wir nicht, dafür ist Jiujiang zu klein. Die Region Jiujiang ist zwar relativ groß, allerdings ist die wirkliche Stadt in 30 Minuten mit dem Bus zu durchqueren. Deswegen würde es sich nicht wirklich lohnen etwas wie Bahnen zu bauen, wobei ich mir gut vorstellen kann, dass sich das in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren noch ändert. Außer den Bussen hätten wir dann nur noch alle möglichen Varianten des Taxis. Natürlich die ganz normalen Autos, aber auch motorisierte Dreiräder und Motorräder, die etwas billiger sind.
Wie frei darfst du dich bewegen? Erlauben dir deine Gasteltern alleine durch die Stadt zu fahren oder gar nach außerhalb?
In der Stadt kann ich im Prinzip machen, was ich möchte, solange es nicht zu spät wird. Ich kann auch, wie zum Beispiel an Silvester oder meinem Geburtstag, bis ein Uhr nachts draußen sein, wenn sie wissen wo ich bin und wann ich zurückkomme. Allerdings eher selten, also nur zu besonderen Anlässen. Alleine die Stadt verlassen, ist so die Sache. Die nächste wirklich größere Stadt ist Nanchang. Das hat ja jetzt auch gerade funktioniert, allerdings haben wir auch bei einem Freund geschlafen und mit dem Zug ist es eine direkte Verbindung von 50 Minuten. Inwiefern es noch weiter weg gehen würde, weiß ich nicht, aber man muss es ja auch nicht gleich überreizen. Da werde ich mir also noch Zeit mit lassen.
Wie ist es mit Fahrradfahren?
Ich kann Fahrradfahren.
Ich brauche hier kein Fahrrad, weil sich alles gut mit dem Bus erreichen lässt. Das Stadtzentrum ist klein genug, dass ich alles ablaufen kann. Meine Schule ist zwar relativ weit weg, mit dem Bus aber kein Problem. Fürs Fahrradfahren ist für mich alles zu weit weg oder zu dicht dran. Da der Bus aber nur 11 Cent kostet und ein Taxi meist auch unter einem Euro ist das alles kein Ding.
Gibt es in dem Ort ein historisches Zentrum oder ist das nur eine moderne Stadt?
Weder noch. Also es gibt kein wirklich sichtbares historisches Zentrum, aber es ist auch bei weitem nicht so modern, wie man es aus dem Fernsehen von Shanghai kennt. Die meisten Häuser sind ziemlich alt, werden allerdings alle paar Jahre wieder frisch angepinselt, deswegen ist es schwer auszumachen was alt und was neu ist. Momentan macht Jiujiang den Eindruck eines kleinen Entwicklungslandes. Es ist alles nicht so modern, doch daran wird tagtäglich gearbeitet. Wenn man in fünf bis zehn Jahren wiederkommt, ist es wahrscheinlich kaum noch wiederzuerkennen.
Sprechen die Leute in Jiujiang akzentfreies Chinesisch oder gibt es große Unterschiede in den verschiedenen Gegenden von China?
Das hängt ganz davon ab mit wem man sich unterhält. Das ist ja in Deutschland nicht viel anders. Wenn ich mit einer 80-jährigen Schwäbin vom Land spräche, würde ich vermutlich kaum ein Wort verstehen, anders als bei Jugendlichen. Grundsätzlich ist es so, dass jede Stadt bzw. Region ihren ganz eigenen Dialekt hat. In Jiujiang hört sich zum Beispiel das A immer eher nach einem O oder dem schwedischen Å an. Diese Dialekte sind in ganz China komplett verschieden. In der Schule wird zwar „Hochchinesisch“, wie in Deutschland auch, unterrichtet, aber die älteren Leute sprechen natürlich eher ihren Dialekt. Wenn zum Beispiel meine Großeltern hier mit mir reden, verstehe ich meist kaum etwas.
Warum haben sich deine Gasteltern entschieden, einen Gastschüler aufzunehmen und warum gerade einen Deutschen?
Ja, das weiß ich auch nicht so ganz genau. Also unsere Chinesisch Lehrerin, bei der mein Bruder privaten Englischunterricht hat, hat meine Eltern damals gefragt, ob sie nicht einen Gastschüler aufnehmen wollen und da haben sie ja gesagt. Ich weiß nicht, ob sie das von Anfang an für eine gute Idee gehalten haben oder einfach nur nicht nein sagen wollten. Wieso sie sich dann für einen Deutschen entschieden haben weiß ich jedoch. Wir Deutsche genießen ja ein ziemlich großes Ansehen in der Welt, Deutschland heißt auf Chinesisch nicht umsonst 德国 (Deguo = Land der Moral/Tugenden). Meine Mutter mag nämlich so an Deutschen, dass sie pünktlich sind und, dass, wenn wir etwas sagen es auch so machen. Es gibt kein „Ja, vielleicht, nein, so ungefähr“, sondern ja ist ja und nein ist nein. Deswegen haben sie sich für mich, den Deutschen entschieden. Wie viele Deutsche sie vor mir kannte, ist allerdings unbekannt.
Gibt es an deiner Schule chinesische Schüler, die Deutsch lernen?
Richtiges Lernen nicht. Wir haben zwar zwei Deutsche Lehrer und die geben auch regulären Unterricht in manchen Klassen, aber das läuft mehr so auf die Standardsätze hinaus. Anders ist es mit Japanisch. Es gibt drei Schüler in unserer Schule die richtig jeden Tag ein paar Stunden Japanisch mit unserer Lehrerin lernen, weil sie nach der Schule in Japan studieren wollen. Sowas gibt es für Deutsch nicht.
Natürlich würde ich mich auch für den nächsten Bericht wieder über Fragen von euch freuen, denn mir gehen langsam die Themen aus.
Und somit neigt es sich dann auch mal wieder dem Ende zu. Ich entschuldige mich noch mal dafür, dass es Ewigkeiten gedauert hat, bis ich die Zeit gefunden habe und hoffe, es geht beim nächsten Mal schneller. Genießt die letzten Tage im Februar und freut euch, zumindest in Hamburg, auf die kommenden Schulferien. Ich merke schon, dass mein Deutsch von einem zum andern Blog immer schlechter wird und hoffe ihr könnt mir das verzeihen. ;-)

Liebe Grüße aus dem kalt-warmen, feucht-trockenen Jiujiang.

Euer Joshy! J