Montag, 20. September 2010

20.09.2010 Neues von Joshy

Moin!

Es ist jetzt genau einen Monat her, dass ich das wunderschöne Hamburg über Frankfurt nach Beijing verlassen habe. Deutsche Weltstadt gegen chinesisches Kaff mit 4,6 Millionen Einwohnern.

Wie mir zu Ohren gekommen ist, hat einigen Daheimgebliebenen mein erster Eintrag gefallen. Puh, hoffentlich wird der zweite Bericht unter diesem Leistungsdruck kein Flop. ;-)

In den letzten dreizehn Tagen ist wieder so einiges passiert. Wir haben unsere Schuluniformen bekommen. Wenn man an eine Schuluniform denkt, hat man die Bilder aus den amerikanischen Filmen im Kopf. Weißes Hemd und dunkelblaue, gebügelte Hose für die Jungen und weiße Bluse mit kariertem Rock für die Mädchen. Natürlich nur die beste Qualität. Doch wenn man mit diesen Hoffnungen nach China kommt, wird man bitter enttäuscht werden. Ein Wort: Trainingsanzug! Die Beine bekleidet eine graue, meist zu große Trainingshose und für den oberen Körperteil gibt es eine weiß-gelbe Trainingsjacke. Auch wenn die Ärmel von drei Streifen geziert werden und auf der Vorderseite groß „SPORTS“ steht, ist der Anzug alles andere als atmungsaktiv. Das ist die Winteruniform, wird aber trotzdem im Sommer getragen. Es gibt auch eine für die warme Jahreszeit, aber die muss für uns männlichen Ausländer noch um geschneidert werden. Es kam schon extra ein Mann mit Maßband in die Schule und hat uns rundum vermessen. Die Sommeruniform ist eher an das gängige Bild einer Schuluniform angepasst. Weiße Hemden für Jungen und Mädchen und eine dunkelblaue Hose bzw. ein karierter Rock. Die Hosen sind so komisch geschnitten, dass ich sie wahrscheinlich am Bund sprengen werde, denn es wurde kein Maß für die Hose genommen. Ich hab die Sommerhose, die trotzdem lang ist, von einem Klassenkameraden im normalen Zustand angeguckt. Es würde höchstens mein Oberschenkel durch passen. Na ja, man wird es sehen. Die Röcke überstehen glaube ich nicht ein ganzes Schuljahr. Die Qualität lässt bei allen Kleidungsstücken für einen Mitteleuropäer doch schwer zu wünschen übrig.

Mittlerweile habe ich mich an nahezu alles gewöhnt. In den Betten schlafe ich so gut wie zu Hause in Hamburg. Die „Matratze“ würde in Deutschland als „Sommerdecke“ durchgehen und beim Lattenrost sind die Bereiche ohne Holz schwer zu finden. Man liegt eigentlich direkt auf dem harten Naturprodukt. In den ersten Tagen konnte ich kaum schlafen, doch ich habe immer zurückgedacht. An Victoria, die australische Austauschschülerin, welche ich in Beijing kennengelernt habe. „Meine Mutter hat gesagt, dass wenn ich hier etwas nicht mag, soll ich es zwei Wochen lang probieren. Wenn ich es dann immer noch nicht mag, ist es okay.“ Es hat bei mir zwar eher zweieinhalb bis drei Wochen gedauert, aber ihre Mutter hatte recht. Ich hab mich in der Zeit an so gut wie alles gewöhnt, sogar die an Laktose arme Milch ist jetzt nicht mehr ungenießbar.

Als ich Mitschüler gefragt habe, wie kalt es denn im Winter werden würde, war ich durchaus positiv überrascht. Ich hatte mit 10-15°C gerechnet, schließlich sind wir ungefähr auf einem Breitengrad mit Kairo. Doch als ich -4 bis 2 Grad hörte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Es soll sogar Schnee fallen, hat mir einer der beiden deutschen Lehrer erzählt. Ihr Vorgänger hat sich nämlich den Fuß gebrochen, weil hier nicht gestreut wird. Das ist zwar nicht so schön, aber für einen Menschen wie mich, der lieber -20 anstatt +30°C hat, ist es die beste Nachricht, seitdem ich hier bin.

Wie ich schon geschrieben habe, war letzte Woche von Montag bis Donnerstag dieses „Military Training“. Nach dem ersten Tag hat kein Ausländer mehr mitgemacht. Wir saßen jeden Tag im Klassenraum, haben geredet und uns gelangweilt. Irgendwann sind Bart, der Belgier, und ich auf die Idee gekommen, Kreide in den Deckenventilator zu werfen. Was für ein Spaß, weil man nie weiß, wo sie hinfliegt. Aber selbst das wird nach einiger Zeit langweilig und man muss jedes Mal durch den Klassenraum gehen und die Kreide einsammeln.

Wie jeder weiß, ist so gut wie alles „Made in China“. Ich sitze also direkt an der Quelle. Wenn jemand ein brandneues Produkt, das bei uns noch nicht auf dem Markt ist, haben möchte, soll er sich melden. Da wäre zum Beispiel ein schwarz-gelbes Poloshirt von Kappa. Auf dem Rücken steht in großer Schrift „Borussia Portmund“, ein absolutes Muss für jeden Borussia Portmund-Fan. Das habe ich in Deutschland noch nicht mal im Ruhrpott gesehen. Oder wie wäre es mit einem Dolce&Gabba Shirt in lila? Wenn ihr nicht so auf Textilien abfahrt, gibt es auch neue Elektronik. Ein schönes, schlichtes, weißes Handy von Scny Eriossonn hätte ich im Angebot. Allerdings müsste ich erst meinen Klassenkameraden fragen, wo man es kaufen kann. Doch in der PC-Mall unter der städtischen Bibliothek habe ich eine Neuentdeckung gemacht. Apple scheint etwas neues ‘rausgebracht zu haben. Der i-dop sieht zwar aus wie ein „classic“, kann aber bestimmt noch mehr. Also bei Interesse meldet euch.

Eine Sache ist hier sehr entspannt im Vergleich zur Heimat. Der Umgang mit Schweiß. Wenn man bei uns beispielsweise in der Klasse sitzt und schwitzt, wird man gleich mit leicht angewidertem Blick angeguckt. Hier ist es das normalste der Welt, denn es ist natürlich! In der Klasse schwitzt jeder, auf der Straße schwitzt jeder, überall wo man hingeht schwitzen die Leute und keiner würde auch nur auf die Idee kommen etwas zu sagen. Wieso denn auch? Das ist als würde man bei uns jemanden verwirrt darauf ansprechen, dass er im Winter eine Mütze trägt. Es ist völlig normal!

Für uns nicht ganz normal sind die Straßenhunde hier. Sie sind überall und man hat manchmal das Gefühl, dass sie kurz davor sind, einem ins Bein zu beißen. Wer weiß, was die alles für Krankheiten haben. Vor einigen Tagen habe ich einen Hund von vorne gesehen. Als ich das Gesicht sah, hatte ich sofort das Bild dieser Hunderasse im Kopf. Den Namen kannte ich zwar nicht, aber sie sind immer so 25-30 cm hoch und 50 lang. Doch als sich der Hund umdrehte, fiel mir die Kinnlade herunter. Er war bestimmt 80 bis 90 Zentimeter lang. Also ich weiß ja nicht wer bei diesem Tier Vater und Mutter sind, aber irgendetwas ist da nicht ganz normal verlaufen.

Ständig hört man irgendwo Feuerwerkskörper laut und lange knallen, wenn Baustellen eröffnet werden und bei vielen anderen Sachen. Nicht zu vergleichen mit den kleinen Böllerchen an Sylvester in Deutschlands Straßen. Ich kann das chinesische Neujahrsfest kaum erwarten. Wahrscheinlich höre ich danach erst mal einen Monat nichts mehr. Ich denke mal, dass das böse Geister vertreiben soll oder so ähnlich.

Die spannendsten und besten Geschichten schreibt das Leben. Das weiß jeder. Doch hier wird das wohl etwas zu wörtlich genommen. Als ich vorgestern am Abend spazieren gegangen bin, hörte ich schon von weitem Geschrei. Eine kleine Straßenhändlerin hatte sich mit ihren Sachen vor einem Geschäft niedergelassen. Das passte der Besitzerin des Ladens ganz und gar nicht. Sie brüllten sich minutenlang an. Ich hatte schon die Befürchtung, dass sie sich gleich an die Kehle fallen und eine höhere Gewalt eingreifen muss. Das ist ja nicht so besonders, aber um die beiden Frauen herum standen im Abstand von zwei Metern mindestens 30 Menschen und guckten zu. Sie standen einfach nur da, tranken ihr Wasser bzw. aßen ihre Melone und genossen das Schauspiel. Die paar Lebensmittelhändler in der Nähe der Menschenmenge machten wahrscheinlich das beste Geschäft der Woche. Ich mag ja ein spießiger Deutscher sein, aber ich finde nicht, dass das die feine englische Art ist.

Bisher gab es noch keine weiteren „ungewöhnlichen“ Speisen. Allerdings habe ich in einer Straße, die jeden Tag wie ein Markt ist, zwei Sachen gesehen. Ein Tier will ich auf keinen Fall essen und das andere würde ich schon ganz gerne mal probieren. In einem Käfig lagen zwei Schlangen. Für eine sollte der Ausgangspreis bei 45 Yuan liegen. Arianna, die Italienerin, Bart und ich haben sofort nachgefragt. Doch im Käfig darunter konnte ich zuerst meinen Augen nicht trauen. Zwei Igel hockten dicht aneinander in einer Ecke des Gefängnisses. Ich hoffe nur, dass man mir das Gericht nicht vorsetzen wird, denn das muss wirklich nicht sein!

Es gibt hier erst zwei Dinge, die ich nicht mag. Zum einen ist es ein Brei, den es manchmal zum Frühstück gibt. Irgendein schwarzes Pulver aus Getreide oder ähnlichem wird mit viel Wasser verdünnt. Das trifft nicht wirklich meinen Geschmack, genau wie der heiße Saft aus gelben Bohnen. Ich bin mir nicht sicher, ob es Bohnen oder Erbsen sind, aber mein Gastbruder meinte, es sei „Yellow bean juice“. Allerdings stellen sich mir die Fragen: Reichen seine Englischkenntnisse für die Unterscheidung und unterscheiden die Chinesen überhaupt zwischen Bohnen und Erbsen? Schließlich ist eine Schildkröte auch ein Fisch, denn sie schwimmt im Wasser.

Es sind überall Mücken. Wenn ich abends aus dem Haus gehe oder in meinem Zimmer das Licht anmache, komme ich um Stiche nicht herum. Bevor sie verschwunden sind, habe ich schon wieder neue. Allerdings jucken sie komischerweise nicht so sehr.

In meiner Gastfamilie hat definitiv meine Mutter die Hosen an. Mein Vater gibt meistens klein bei oder geht weg und denkt sich seinen Teil. Ich verstehe ja nicht was sie sagt, aber ihr Tonfall ist alles andere als freundlich. Zwei Sachen gefallen mir in meiner Gastfamilie nicht so wirklich. Da wäre meine Mutter. Sie spricht häufig sehr laut. Die Chinesen sind generell lauter als wir, aber das ist echt extrem. Wenn ich im Auto neben ihr sitze und sie telefoniert muss ich mir manchmal wirklich die Ohren zu halten. Das kann man sich nicht vorstellen. Das andere sind die Tischmanieren meines Bruders. Klar ist das hier alles etwas anders im Vergleich zur westlichen Welt, aber wenn man ihm beim Essen zuguckt, kann einem schon mal der Appetit vergehen. Der Mund wird so voll gestopft, dass sich die Lippen nicht mehr berühren und dann versucht er auch noch zu sprechen. Da kann es schon mal passieren, dass sich der Reis auf dem gesamten Tische Stück für Stück verteilt. Häufig führt er die Stäbchen oder die Schüssel gar nicht erst zum Mund, sondern legt den Kopf quasi in das Schälchen. Und dann wird geschaufelt. Das machen meine Gasteltern auch, aber halbwegs lautlos. Er atmet den Reis schon fast ein, natürlich bis der Schlund randgefüllt ist. Am schlimmsten ist es, wenn wir Reisschleim essen, dann hört man ihn durch die ganze Wohnung!

Es ist erschreckend, was ich hier von Unwissenden über Deutschland höre. Ein Austauschschüler aus Taiwan hat mich doch tatsächlich gefragt, ob wir Hitler als einen Helden verehren und immer noch salutieren. Ich war erst mal perplex und wusste nicht, was ich tun sollte. Die beiden anderen Europäer und ich haben ihm dann einen Kurzüberblick über die Vorgeschichte und den Krieg gegeben. Das hatte er so nicht erwartet. Als wir zum ersten Mal Chinesisch hatten, sollten wir der Lehrerin etwas über unser Land erzählen. Ich fing damit an, dass ich im Norden wohne. Da fragt mich unsere Lehrerin doch ernsthaft, ob ich im Westen oder Osten des geteilten Deutschlands lebe. All dieses Halbwissen ist erschreckend.

Am Freitag war ein Fernsehteam in unserer Schule. Wir mussten in einem Raum, der wie ein Universitätshörsaal aussah, eine kleine Rede halten und einen Text vorlesen, selbstverständlich auf Chinesisch. Die kleinen Selbstbeschreibungen sahen bei allen ähnlich aus. Herkunft, Name, chinesischer Name und Alter. Die Texte waren über chinesische Feste. Die beiden deutschen Lehrer aus Berlin waren auch da. Nach unseren Reden und den von besonders guten chinesischen Schülern wurden einige von uns noch in dem vollen Hörsaal interviewt. Jede Aufregung vor einem Referat in der Schule ist nichts dagegen. Wie immer ging bei meinem Alter ein ungläubiges Raunen durch das Publikum. Niemand glaubt mir, wenn ich sage, dass ich 16 Jahre alt bin. Die deutschen Lehrer dachten, ich sei 18, was ja noch relativ nah dran ist, aber die Chinesen haben mich bis jetzt alle auf 21 bis 25 geschätzt. Sie können uns nicht einschätzen und wir sie nicht. Wenn ich eine Chinesin auf der Straße sehe, die aussieht wie 20, kann ich davon ausgehen, dass sie 28-35 ist.

Am gestrigen Morgen wurde ich von einer Sirene geweckt. Ich dachte zuerst, dass es eine Feuerübung der Grundschule sei, aber nirgends waren Kinder. Alle Menschen waren so wie immer. Die Sirene erinnerte mich eher an die aus dem zweiten Weltkrieg, welche mitten in der Nacht losgingen, wenn alliierte Flugzeuge gesichtet wurden. Es war ein seltsames Gefühl, denn nach einigen Minuten verstummten sie und fingen kurze Zeit später wieder an. Außerdem war ich allein zu Haus und konnte niemanden fragen, was los ist. Ich werde nächste Woche mal in der Schule ‘rumfragen, vielleicht kann mir da ja jemand weiterhelfen.

Falls es da draußen Leute geben sollte, die denken „Oh man wieso meldet der sich denn nicht?“, schreibt mich am besten an. Wenn ich ins Internet kann, dann reicht die Zeit meistens nur, um Mails zu beantworten, nicht aber um mir Gedanken darüber zu machen, wem ich noch schreiben könnte.

Das war es dann auch schon wieder mit Blogeintrag Nummer 2. Er ist tatsächlich noch länger als der erste. Nach drei Stunden bin ich jetzt todmüde und gehe schlafen. Ich denke, dass der Bericht spätestens morgen online ist. Hoffentlich hat euch auch der zweite Beitrag gefallen, wenn ja, erzählt es gerne weiter.

Liebe Grüße aus einem der fernsten Länder für einen Deutschen.

Euer Joshy! J


=

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen