Hallöchen Daheimgebliebene!
Über zwei Wochen ist es nun her, dass ich mich das letzte Mal gemeldet habe. Die Zeit ist rasend schnell vorbeigegangen. Nun ist es schon Oktober und ihr Hamburger Schüler genießt hoffentlich gerade eure wohlverdienten Ferien.
Die Sirene, welche ich im letzten Bericht erwähnt habe, war zum Gedenken an den Chinesisch-Japanischen-Kriegsausbruch 1939. Da lag ich mit meinem Vergleich gar nicht so falsch.
Normalerweise bin ich zwar kein Spinnenfanatiker, aber ich habe auch keine Phobie, deswegen ignoriere ich die achtbeinigen Tierchen. Doch in China weiß man ja nie, ob die nicht giftig sind. Vor rund zwei Wochen liege ich so in meinem Bett und höre ein bisschen Musik. Irgendwann überfällt mich das natürliche Bedürfnis auf die „Toilette“ im alten Haus zu gehen. Als ich nichtsahnend wiederkomme, stehe ich vor meinem Bett und bin kurz davor mich erneut ‘reinzulegen. Da sehe ich diese mehr als faustgroße Spinne direkt hinter meinem Kopfkissen an der Wand sitzen. Zu meiner eigenen Sicherheit musste ich leider zur elektrischen Fliegenklatsche greifen. Es tut mir zwar leid für das Tier, doch ich möchte ungern auf die schmerzhafte Art und Weise herausfinden, dass sie es giftig ist. Wenige Tage später haben mein Bruder und ich kurz vorm Schlafengehen noch eine entdeckt, die allerdings nicht ganz so groß war. Es ist seltsam, dass ich die Spinnen nicht in den ersten vier Wochen gesehen habe.
Vielleicht liegt das an dem Wetterumschwung, der stattgefunden hat. In dem ersten Monat hatten wir täglich um die 35°C und dann plötzlich wurde es von einem Tag auf den anderen knapp 20 Grad kälter. Bei siebzehn Grad Celsius, Wind und Regen sah man die Menschen auf der Straßen in Winterjacken, Pullovern und langen Hosen. Auch wenn man sich in Hamburg gerne mal über dieses Wetter beschwert, hier gab es für mich nach dieser extremen Hitzewelle nichts Schöneres! Meine Gastmutter meinte, dass ihr kalt werden würde, wenn sie mich bei den Temperaturen in kurzer Hose und T-Shirt sehe. Das nimmt ja immer mehr Formen von zu Haus an. Es blieb fast die ganze Zeit so „kalt“ und nass. Doch seit gestern herrschen wieder Temperaturen von um die 30°C. Was ist nur verkehrt hier? Wir haben Oktober, aber das kann kein typisches Herbstwetter sein!
Bei den Chinesen gibt es irgendwie kein gutes Wetter. Ständig sind sie am jammern. 24 Grad und Wolken ist „sehr kalt“, aber wenn sich dann die Sonne blicken lässt, ist es „sehr heiß“. Das scheint auch kein regionaler Einzelfall zu sein, denn mein Freund Erik, der in Jiamusi (Nordchina) ist, hat das gleiche bemerkt. Das spricht gegen das Vorurteil, dass Chinesen immer glücklich sind, egal welches Wetter herrscht.
Zeit für Vorurteile. Fange ich mal mit dem wohl bekanntesten der Welt an:
„Chinesen essen Hund.“ Ich habe gehört, dass es wirklich Gegenden gibt, in denen Hund gegessen wird, allerdings bin ich hier noch auf keinen Hund süß-sauer gestoßen. Mein Freund Bart meinte, seine Tante wolle kommen, um Hund zuzubereiten, was dann aber doch nicht passiert ist. So gesehen isst man hier Hund, jedoch ist der Belgier ein kleiner Schnacker. Das Vorurteil bleibt demnach weiter offen.
„Chinesen sehen alle gleich aus.“ Das stimmt natürlich nicht. Doch für jemanden aus Deutschland, Europa oder dem Rest der westlichen Welt mag das zuerst so aussehen, denn jeder hier hat schwarze Haare, einen ähnlichen Hauttyp und dunkle Augen. Manchmal sieht die dunkelbraune Iris schon eher schwarz aus und es ist äußerst schwer die Pupille zu entdecken. Es gibt weder blond-, braun- noch rothaarige, zudem sieht man keine „weiße“ und keine „dunkle“ Haut, nur die der Chinesen. Die Menschen auf der Straße haben eine deutlich größere Ähnlichkeit auf den ersten Blick als die in Deutschland, aber halt auch nur auf den ersten Blick.
„Chinesen sind gelb.“ Bisher habe ich noch keine gelben Chinesen gesehen, alle sind eher gut gebräunt. Vielleicht werden sie ja im Winter gelb, aber das bezweifel ich eher.
„Chinesen sind klein.“ Es gibt hier durchaus große Chinesen, die1,90 bis 2 Meter messen, das ist jedoch die absolute Ausnahme. Wenn ich im Bus stehe, kann ich normalerweise über die meisten Köpfe hinweg gucken und die Griffe zum Festhalten wackeln mir vor dem Gesicht herum. Bei uns in der Stufe sind wir Ausländer deutlich die Größten. Und ich bin keinesfalls ein Riese mit meinen 179 cm. Allerdings ist China nicht gerade klein und es gibt bestimmt Größenunterschiede in den verschiedenen Ecken des Landes. Ich hörte, dass sie in Nordchina größer sein sollen. Bei Gelegenheit werde ich mal Erik, wir sind ungefähr gleich groß, fragen, wie es bei ihm im kalten Norden aussieht.
In meiner Schule bzw. der ganzen Stadt ging vor knapp zwei Wochen die sogenannte „Rote-Augen-Krankheit“ um. Man bekommt rote, tränende Augen und es ist hoch ansteckend. Es wird sogar gesagt, dass man sie schon bekommt, wenn man einem infizierten Menschen nur in die Augen guckt. Falls das stimmen sollte, dann wirkt es jedenfalls nicht bei Ausländern. Abgesehen von den roten Augen weiß ich nicht, was weitere Folgen der Krankheit sind. In unserer Klasse waren von sechzig Schülern nur noch rund zwanzig anwesend. Ein komisches Bild und wenn ein Chinese in der Schule fehlt, dann heißt das schon was, denn er verpasst wichtigen Stoff.
Man sieht mehrmals am Tag die „Forced Armed Esort“. Es sind gepanzerte Ford Transit, mit bewaffneten Insassen, die die Banken abfahren. Ein Geldtransporter. Die Männer in den kugelsicheren Westen und Helmen sehen jedoch etwas lächerlich aus. Ich kenn mich nicht mit Waffen aus, doch wenn sie wirklich einmal schießen müssten, würden sie wahrscheinlich durch den mächtigen Rückstoß auf den Rücken geworfen werden. Die meisten sind eher schmächtig gebaut und verschwinden in ihrer Uniform. Wie ich vor einigen Tagen sehen konnte, rechnen sie wohl auch nicht mit einem Überfall und sind eigentlich nur Attrappen. Ein uniformierter Mann legte seine Schusswaffe auf seinen beachtlichen Bierbauch und hatte zwischen den Fingern, mit denen er im Notfall schnell zum Abzug greifen sollte, einen Kugelschreiber. Das ist also die Bereitschaft eines chinesischen Sicherheitsdienstes.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass bei kleinen Fischen fast alles und Garnelen alles gegessen wird. Es bleibt lediglich der Fischkopf auf dem Tisch liegen, sonst wird alles verzehrt. Bei den Gräten muss man halt etwas intensiver kauen, genau wie bei der Schale der Garnelen. Vor kurzem kamen auch Schweinefüße und –kopf auf den Tisch. Die Füße bestehen eigentlich nur aus Fett uns schmecken deshalb etwas langweilig. Den Schweinekopf kann man schwer beschreiben und ich hab auch bewusst nicht hingeguckt, was man mir in die Schale geworfen hat. Es war ein relativ zartes Fleisch, doch um ehrlich zu sein, habe ich mir vorgestellt wie gerade ein Steak gebraten wurde. Bloß nicht den Kopf im Topf angucken und drüber nachdenken, auf was du herum kaust. Der Trick hat bestens funktioniert, allerdings möchte ich seitdem ein Steak.
Das Moon Cake Festival ist nichts Besonderes. Man hat es nur an den ganzen Mondkuchen und den unglaublichen Heerscharen auf den Straßen gemerkt. Wirklich überall waren Menschen und liefen mit den roten Kartons herum. Das Gebäck gehört nicht wirklich zu meinen Lieblingsspeisen. Es ist liegt sehr schwer im Magen und mehr als einen kann man nicht essen, wenn man etwas gefunden haben sollte, das einem schmeckt. Ich habe welche mit Fleisch, Ei, Erdbeeren und Bohnen probiert, doch nichts davon beeindruckte meine Geschmacksknospen. Unter uns Ausländer ist die Italienerin die einzige, die Mondkuchen mag. Fast täglich bekam sie all die Kuchen, die uns unsere Familien gegeben hatten. Allerdings sind sie seit dem Ende des Festes wie vom Erdboden verschwunden. Gut so.
Die Musikgeschäfte sind nicht unbedingt auf dem neusten Stand, jedenfalls nicht, was die westliche Musik angeht. Rudebox von Robbie Williams ist noch eines der neueren Werke. Ansonsten findet man neben Britney Spears Westlife, Take That und die Backstreet Boys.
Die DVDs sind allerdings relativ neu. Ich habe mir dort erst mal „The Hangover“ für 20 Yuan gekauft und ihn 5-mal in fünf Tagen gesehen. Der erste englische Film, den ich seit über einem Monat sehen konnte.
Ein Fernsehteam eines lokalen Senders war bei uns in der Schule, um über die Ausländer zu berichten. Wir mussten uns, wie schon am ersten Schultag, kurz selber vorstellen und dann Fragen beantworten. Es wirkte alles etwas unprofessionell, aber was sollte man auch erwarten. Der Beitrag war ungefähr fünf bis zehn Minuten lang und jetzt kennen uns noch mehr Menschen in der Stadt. Mittlerweile sind wir wahrscheinlich schon kleine städtische Berühmtheiten.
Letztens ist ein kleines Mädchen schreiend zu ihrer Mutter gelaufen, als sie mich gesehen hat und ein Baby hat angefangen zu weinen. Da geht einem schon der Gedanke durch den Kopf, ob man sich hier jemals heimisch fühlen wird. Nach einem Jahr in den USA oder ähnlichem hätte ich keine Zweifel daran, aber hier wird es auch noch nach zehn Monaten mehr als genug Menschen geben, die mich entsetzt auf der Straße angucken. Wenn ich nach der Schule meinen täglichen Weg nach Hause antrete, ist es fast wie daheim. Immer derselbe Weg, ich sehe teilweise dieselben Leute und alles kommt mir vertraut vor. Doch dann blicke ich in die Gesichter der mich umgebenen Menschen und werde ganz schnell auf den Boden der Realität zurückgeholt. Was macht denn der Ausländer hier? Guck mal Mama der Ausländer! Der Ausländer hat ja gelbe Haare! Ich habe schon von Chinesen geträumt, die Fotos von mir machen wollen. Es ist halt etwas anderes, ob man in die USA oder nach China geht. That’s really something!
Letzte Woche war für drei Tage ein Sportsmeeting in unserer Schule. Die Klassen haben in allen möglichen Disziplinen der Leichtathletik gegeneinander gekämpft. Ein Chinese aus unserer Klasse, Tashi aus Taiwan, ich und Bart aus Belgien sind in dieser Reihenfolge die 4×400 m Staffel für unsere Klasse gelaufen. Wir sind zwar auf dem ersten Platz gelandet, doch das eigentliche Resultat war, dass ich hier dringend einen Sport finden muss. Leider waren wir erst am letzten Tag etwas in die Wettkämpfe integriert und alle Sportarten auf die wir uns gefreut hatten, waren schon vorbei. Wie haben alle das Gefühl, dass wir Ausländer der Schule eigentlich relativ egal sind. Der „Chinesischunterricht“ findet mal statt und ein anderes Mal wieder nicht. Wenn er dann mal ist, ist er meistens nicht sehr hilfreich. Anstatt uns am Anfang mit Sachen vertraut zu machen, die wir im Alltag brauchen, müssen wir Gedichte auswendig lernen. Manche von denen sind sogar in altem Chinesisch, das heißt die Wörter werden heute gar nicht mehr benutzt. Jeder in unserer Ausländerklasse ist äußerst skeptisch was das Erlernen der Sprache in zehn Monaten angeht. Im Leben zu Hause lernen wir täglich mehr als in der Schule, doch können das nicht schreiben. All das, was wir an Chinesisch sprechen, wussten wir entweder schon vorher oder haben es hier irgendwo aufgeschnappt. Es war noch nicht ein nützliches Wort aus dem Unterricht dabei. Ich habe von anderen Austauschschülern gehört, dass sie jeden Tag Sprachunterricht haben, manche sogar Einzelstunden. Vielleicht wird es ja die nächsten Wochen besser, denn unsere Gastfamilien haben sich bei der Lehrerin über die Unregelmäßigkeit beschwert. Sie ist alles andere als beliebt bei uns. Vor kurzem wollte sie uns sogar schon nach Hause in unsere Länder schicken, weil wir 16 bis 18-jährigen nach der Schule am befestigten Flussufer waren. Sie scheint ja richtig Spaß am Arbeiten mit Ausländern zu haben.
Vom 1. bis zum 7. Oktober haben wir schulfrei, allerdings müssen wir danach von Freitag bis Freitag zur Schule kommen, weil wir so lange frei hatten. Da wir fünf freie Schultage hatten, müssen wir jetzt acht Tage ununterbrochen zur Schule kommen. Das ist mal wieder ein Musterbeispiel für unsere Lehrerin! Ich glaube mindestens jeder Schüler kann an diesem Beispiel nachvollziehen, wie beliebt sie bei uns ist.
Am ersten Oktober sind wir zum ersten Mal mit Chinesen unterwegs gewesen. Zuerst ging es in die Berge, danach hatten wir ein von Wasabi geprägtes Barbecue und schlussendlich landeten wir in einer Karaoke Bar. Das war auf jeden Fall mal was anderes und durchaus amüsant. Es waren Schüler aus unserer Parallelklasse, die ganz cool drauf sind. Normalerweise sind alle in unserem Alter etwas zurückgeblieben, aber die waren relativ normal.
Immer wenn ich am Fluss oder an dem riesigen See in der Nähe der Stadt bin, fühle ich mich pudelwohl. Dort ist es windig, dort ist es nicht so warm, dort ist Wasser, dort ist es perfekt für einen Hamburger Jung! Es ist wirklich erstaunlich wie frei ich den Kopf bekomme und wie erholt ich mich danach fühle.
Sagt mal, habe ich es richtig im Kopf, dass die Schale von Mandarinen in Deutschland orange ist? Denn hier ist sie grün und manchmal teilweise etwas gelblich. Orange kommt mir momentan so extrem unnatürlich vor, deswegen bin ich mir nicht sicher, ob mir mein Erinnerungsvermögen einen Streich spielt.
Ich habe mir vor einiger Zeit endlich eine neue Digitalkamera gekauft. Unter einem Vorwand musste ich das Haus verlassen, denn meine Gastmutter wollte einen Teil bezahlen. Doch als sie mir erzählte, dass mein Gastbruder 300.000 Yuan aufbringen müsse, wenn er ein Jahr in die USA oder nach Deutschland gehen wolle, nannte sie mir auch ihr Einkommen. Sie ist Lehrerin, aber selbst wenn hinter ihrem Gehalt Euro statt Yuan stehen würde, wäre es weniger als in Hamburg und man muss den Wechselkurs von 1:9 im Kopf behalten! Deswegen wollte ich natürlich nicht, dass sie sich auch noch an der nicht ganz billigen Kamera beteiligt. Ich mache zwar schon fleißig Fotos, allerdings kann ich, solange wir keinen festen Internetanschluss haben, keine Bilder verschicken. Wenn wir Internet haben, werde ich ein paar Bilder in den Blog stellen lassen, dann habt ihr einen kleinen Einblick, wie es hier so ist.
Falls jemand von euch meine chinesische Adresse haben möchte, soll er sich an mich oder meine Mutter wenden. Die Adresse ist zwar auf Chinesisch, aber ausgedruckt und aufgeklebt ist das gar kein Problem.
Das war es dann auch schon wieder mit diesem Bericht aus Jiujiang. Genießt euer kühles Hamburger Schietwetter, denn 30 Grad im Oktober sind alles andere als schön!
Liebe Grüße aus dem seltsamen, fernen Osten.
Euer Joshy! J
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