Mittwoch, 27. Oktober 2010
Sonntag, 24. Oktober 2010
Tach Inländer!
Tach Inländer!
Heute bin ich genau zwei Monate in Jiujiang. Es ist schon so gut wie November, dann kommt auch bald Weihnachten und danach steht 2011 vor der Tür. Die Zeit rennt also gnadenlos.
Sogar in der Volksrepublik China kann man zunehmen, was keiner von uns vorher gedacht hat. Ich habe nach guten 60 Tagen in China schon drei Kilo mehr auf den Rippen. Zwar weiß ich nicht genau, wo sie sich verstecken, aber sie sind da. Meine Gastmutter ist also auf dem besten Weg ihr Ziel zu erreichen. „Du musst viel essen, denn wenn du dünn in Hamburg ankommst, ist deine Mutter sauer auf mich!“ Na ja, solange ich nicht als Mastschwein in den Frachtraum des Fliegers gesperrt werde, ist alles gut. Uns wird bereits jetzt ständig gesagt, dass wir fett sind. Unsere Lehrerin reibt es uns immer und immer wieder unter die Nase. Sie sagt nicht dick, pummelig, kräftig gebaut oder sonst was, sondern immer fett. Natürlich sind wir nicht so dünn wie die ganzen Chinesen in unserem Alter, aber das ist auch gut so! Mein Gastbruder ist um die 1,85m und wiegt bestimmt nicht mehr als 55 Kilo. Trotzdem muss ich hier jetzt endlich mal eine richtige sportliche Aktivität finden. Der Belgier und die Italienerin gehen wöchentlich zum Tai-Chi, aber ich bin eher auf der Suche nach etwas, bei dem ich mich körperlich auspowern kann. Falls ich in unserer Weltmetropole ein Fitness-Center sehen sollte, werde ich meinen Bruder da hereinschleppen. Er sollte mal etwas weniger lernen und mehr Sport machen. Wobei, vielleicht sollte er doch nicht so viel Sport treiben, denn schließlich hat er sich gerade beim Basketballspielen das linke Handgelenk gebrochen. Er scheint es richtig zu genießen, dass er jetzt von allen Seiten mehr Aufmerksamkeit bekommt, wie ein Zehnjähriger. Bei allem braucht er Hilfe. Er kann sich nicht alleine die Hose anziehen, nicht duschen, nicht mit Stäbchen essen und noch vieles mehr. Wenn ich ihn von der Seite anspreche, muss er den kompletten Körper drehen, anstatt nur den Kopf zu neigen und wenn er etwas aufheben muss, muss er mit geradem Oberkörper ganz tief in die Knie gehen. Ein gebrochenes linkes Handgelenk kann einem Rechtshänder das Leben echt schwer machen. Ich habe mir zwar zum Glück noch nie etwas gebrochen, aber ich hatte zur selben Zeit einem Kapselriss im Daumen und einem verstauchten Zeigefinger in der rechten Hand und da kann man sie nicht wirklich mehr benutzen. Doch ich konnte duschen, mich anziehen und sogar mit der linken Hand essen, das ist schon echt seltsam.
Nudeln gehören hier nicht gerade zu meinem Lieblingsessen. Nicht, dass sie nicht schmecken würden, aber sie sind immer in einer Suppe. Ihr könnt euch bestimmt vorstellen, dass Spaghetti in Wasser und Öl nicht gerade leicht zu essen sind, wenn man nur zwei Holzstäbchen hat. Außerdem spritzen mir die Unmengen an Öl durchs ganze Gesicht und der Mund fühlt sich danach an, als hätte ich einen extragroßen Labello zum Essen gehabt. Hund wird hier übrigens gegessen. Zwar gab es bei mir noch keinen, aber wir haben ihn auf einem Markt gesehen. Er hing da an einem Haken und ihm war wortwörtlich das Fell über die Ohren gezogen worden. Hätten sie den Kopf nicht gelassen, wie er von Natur aus ist, dann hätten wir wahrscheinlich nicht erkannt, was es ist.
Von ehemaligen Austauschschülern, die auch an unserer Schule waren, haben wir gehört, dass bisher jeder seine Probleme mit der Chinesischlehrerin hatte. Die ersten Ausländer im Jahre 2005 mussten für ihre Stunden kämpfen, weil sie meinte, dass sie nicht dazu verpflichtet sei, was eine Lüge ist. Zum Glück haben wir seit zwei Wochen noch einen anderen Lehrer, der deutlich besser ist! Mittlerweile findet der Unterricht häufiger statt. Diese Woche hatten wir zum Beispiel an zwei Tagen Sprachstunden.
Von den bei uns gängigen „Sportmarken“ wird in Jiujiang am häufigsten Kappa getragen. Es scheinen sich auch die beiden Brüder Kappy und Kpapa hier niedergelassen zu haben, allerdings sind sie deutlich billiger. Das gibt bestimmt einen Familienstreit. Anders als bei ck, denn Calvni Klein dominiert hier eindeutig das Geschäft.
Die Chinesen stehen überhaupt nicht auf Kombis. Ein Auto muss ein SUV oder eine Limousine sein. In der ganzen Zeit hier habe ich erst einen Kombi gesehen. Ein „dickes“ Auto mag ja ganz schön sein, doch man sollte es auch zu bedienen wissen. Allzu oft sieht man verzweifelte Autofahrer mit ihrem Q5 oder 7 in den kleinen Straßen der Stadt. Wenn Chinesen einparken, kann man schon mal warmes Wasser in der Wohnung aufsetzen. Gefühlte zwanzigtausend Mal setzt meine Mutter vor und zurück. Wenn sie dann irgendwann halbwegs zufrieden ist, steigt sie aus und guckt sich an, wie der Wagen steht. Danach wird sich wieder ins Gefährt begeben, die Handbremse gelöst, der Rückwärtsgang eingelegt und zwei Zentimeter zurück gesetzt. Dann steht das Auto gut.
Im zweiten Drittel des Oktobers hatten wir nur Dauerregen und Kälte. Die arktischen Temperaturen gingen bis an die 15 Grad Celsius und es war sich wieder jeder am beschweren, wie kalt es doch sei. Es führte sogar so weit, dass Joshy im Oktober bei 15°C eine Jeans und einen Pullover getragen hat. Unvorstellbar, aber wahr! Seit einigen Tagen ist aber schönes Wetter und die Temperaturen liegen beständig bei 25°C. Jedoch habe ich in Jiujiang gelernt, dass sich das von Tag zu Tag ändern kann und am Montag sollen auch nur noch 12 Einheiten auf dem Thermometer angezeigt werden. Da es hier keinen super Trinkjoghurt gibt, der meine Abwehrkräfte aktiviert, griff ich seit der Ankunft zur altertümlichen Methode, der kalten Dusche. Doch trotzdem habe ich seit einer guten Woche Schnupfen und manchmal leichten Husten. Allerdings haben wir von unseren Vorgängern gehört, dass der Hauptfaktor die schmutzige Luft ist. Manche hatten die kompletten zehn Monate lang eine „Erkältung“. Das wäre natürlich alles andere als optimal. Bei den deutschen Lehrern geht es bisher diesen Weg.
Ich war auf meiner ersten Chinesischen Hochzeit, aber es war zum Glück nicht meine eigene. Gewisse Grundlagen scheinen überall auf der Welt gleich zu sein, doch der Großteil war neu für mich. Ständig wurden Feuerwerkskörper gezündet und die knallen auch richtig! Als einer drei Meter neben mir explodierte, habe ich erst mal eine halbe Stunde nichts auf dem linken Ohr gehört. Die Feier fand in einem großen Restaurant statt, allerdings war es keine wirkliche Zeremonie. Das Ringanstecken und der erste Kuss danach geschahen hinter einer Wand aus übergroßen Wunderkerzen, so dass auch ja niemand etwas sehen konnte.
Ich habe das Gefühl, dass meine Gedanken hier ständig wahr werden. Das eine Mal zum Beispiel dachte ich, dass ich in meinem Zimmer schon lange keine große Spinne mehr gesehen habe und wenige Stunden später sitzt ein gigantisches Monster über meiner Tür. Ein anderes Mal sehe ich eine Mücke und als ich die elektrische Fliegenklatsche ergreife und mich umdrehe, ist sie weg. Wenn sie mir jetzt in den Hinterkopf stechen würde, wüsste ich wenigstens wo sie wäre, denke ich mir. Ein paar Sekunden später merke ich ein Stich auf meiner Kopfhaute, schnelle herum und sie ist direkt vor meinem Gesicht. Oder ich gehe abends ins Bett und mir fällt auf, dass ich schon seit langer Zeit keine Mückenstiche mehr hatte. Am nächsten Morgen habe ich alleine vier an einem Arm und das sind nur einige Beispiele. Natürlich sind das alles nur Zufälle, aber es ist irgendwie schon merkwürdig.
Am Anfang war es toll von allen betrachtet zu werden, dann war es nur nervig und mittlerweile habe ich meinen Spaß daran gefunden. Ich versuche immer vorher zu erraten, wie die Leute auf mich reagieren werden. Als mir ein kleines Mädchen entgegengekommen ist, hatte sie den Blick auf den Boden gerichtet und war in einem Tagtraum. Es war klar, dass sie einen Schock bekommen würde, wenn sie mich sähe. Ihr Blick wanderte an mir hoch und als er mein Gesicht erreichte, fiel ihr der Unterkiefer herunter und ihre Augen wurden so groß wie meine. Wenn zwei Mädchen vor mir gehen und die eine mich sieht, zähle ich nur die Sekunden, bis sich die zweite umdreht.
Nach knapp zwei Monaten habe ich mir endlich ein chinesisches Handy und eine SIM-Karte geholt. Ich bin mit dem Ziel „Es soll nur nicht völlig hässlich und teuer sein und auch auf Englisch laufen“ in das Geschäft gegangen und habe das erstbeste Handy genommen. So sollte man auch in Deutschland auf Handysuche gehen. Ich war zu Hause durchaus positiv überrascht, als ich herausfand, dass die Boxen von Yamaha sind und es über einen Touchscreen verfügt. Okay, bei einer Marke namens K-Touch hätte ich da auch vorher drauf kommen können, aber egal. Eine SMS innerhalb Chinas kostet einen Mao (1 Yuan = 10 Mao = 100 Fen) und ins Ausland einen Yuan. Telefonieren kann hier in durchaus „teuer“ werden, da der Preis von der Entfernung abhängig ist und China ist nicht so klein.
Meine Mutter hat mir gesagt, wieso sie sich für mich als Austauschschüler entschieden hat. Unsere Lieblingslehrerin hat den Familien nur gesagt, aus welchen Ländern wir kommen, nicht aber wie wir aussehen und alles Mögliche. „Deutsche sind zuverlässig und pünktlich, Chinesen sind das überhaupt nicht! Ich mag Deutsche“, sagte sie mir. Weil man in China dem Gegenüber das Gesicht wahren soll, habe ich sie nicht weiter gefragt, wie vielen Deutschen sie in ihrem Leben schon begegnet ist.
Manchmal muss man einfach eine Entscheidung aus der Situation heraus treffen, ohne sich wirklich mit ihr auseinandergesetzt zu haben. Als ich mich im November letzten Jahres dafür entschieden habe nach China zu gehen, war es genau so. Auf dem sogenannten Auswahlwochenende der Austauschorganisation traf ich Golo, der 2007/08 in Shanghai war. Er hat mir viel über China erzählt und nach dem Wochenende stand für mich fest, dass ich dahin gehen werde. Als ich dann eine knappe Woche später die Unterlagen zur Bewerbung bekommen habe, war ich mir schon nicht mehr ganz so sicher, ob es die richtige Entscheidung war. Aber es war noch an oberster Stelle in meinen Gedanken und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich Golo in dieser Sache nicht enttäuschen dürfte, was natürlich völliger Schwachsinn ist. Also priorisierte ich China höchstmöglich und schickte die Bewerbung zurück. Kurze Zeit später stand dann fest, dass ich nach China gehen werde. Hätte ich auf dem Wochenende mit jemandem so viel gesprochen, der in Venezuela gewesen war, dann hätte ich mich wahrscheinlich für Venezuela entschieden oder hätte ich die Unterlagen erst ein paar Wochen später bekommen, wäre meine erste Wahl vermutlich auch nicht China gewesen. Na ja, viel hätte, wenn und wäre jetzt sitze ich in meinem Zimmer in Jiujiang (China) und das ist auch mehr als gut so. Wie gesagt, manchmal muss man es einfach so nehmen, wie es in diesem Moment vor einem liegt und nicht weiter darüber nachdenken, ob es hundertprozentig die richtige Entscheidung ist, denn die gibt es nie. Natürlich denke ich noch heute daran, ob es richtig war, da es in Ländern wie Australien, Neuseeland oder der USA vermutlich um ein vielfaches leichter sein würde, aber wenn ich jetzt noch einmal die Bewerbung ausfüllen müsste, würde ich mich wieder für China entscheiden. Nichts gegen eines der vermeintlich leichteren Länder, aber wie heißt es doch sinngemäß in Gegen jede Regel? „Wenn sich eine unerwartete Gelegenheit bietet, schnappt man sich einfach den Ball und läuft drauf los.“
An alle, die überlegen ins Ausland zu gehen, sich aber nicht sicher sind, ob es die richtige Entscheidung ist: Wenn ihr die Gelegenheit habt, macht es! Man weiß nie vorher, wie es werden wird, aber es ist immer eine unvergessliche Erfahrung fürs Leben und wird euch weiterbringen, das merke ich schon jetzt. Geht nicht unbedingt den von so vielen Füßen plattgetretenen Weg in die USA. Die Sprache ist nur zweitrangig und davon abgesehen, verbessert sich sogar hier mein Englisch deutlich. Es gibt so viele andere schöne Länder auf diesem Erdball, die wir gar nicht wirklich kennen und das ist es doch, was es noch viel interessanter macht. Eine kleine Reise ins Ungewisse, aber immer in dem Bewusstsein, dass man nach Hause kann, falls es überhaupt nicht gehen sollte. Doch wie viele kennt ihr schon, die ihren Aufenthalt abgebrochen haben, weil es so schlecht war?
Liebe Grüße aus China.
Euer Joshy! J
Mittwoch, 6. Oktober 2010
Jiujiang, den 05. Oktober 2010
Hallöchen Daheimgebliebene!
Über zwei Wochen ist es nun her, dass ich mich das letzte Mal gemeldet habe. Die Zeit ist rasend schnell vorbeigegangen. Nun ist es schon Oktober und ihr Hamburger Schüler genießt hoffentlich gerade eure wohlverdienten Ferien.
Die Sirene, welche ich im letzten Bericht erwähnt habe, war zum Gedenken an den Chinesisch-Japanischen-Kriegsausbruch 1939. Da lag ich mit meinem Vergleich gar nicht so falsch.
Normalerweise bin ich zwar kein Spinnenfanatiker, aber ich habe auch keine Phobie, deswegen ignoriere ich die achtbeinigen Tierchen. Doch in China weiß man ja nie, ob die nicht giftig sind. Vor rund zwei Wochen liege ich so in meinem Bett und höre ein bisschen Musik. Irgendwann überfällt mich das natürliche Bedürfnis auf die „Toilette“ im alten Haus zu gehen. Als ich nichtsahnend wiederkomme, stehe ich vor meinem Bett und bin kurz davor mich erneut ‘reinzulegen. Da sehe ich diese mehr als faustgroße Spinne direkt hinter meinem Kopfkissen an der Wand sitzen. Zu meiner eigenen Sicherheit musste ich leider zur elektrischen Fliegenklatsche greifen. Es tut mir zwar leid für das Tier, doch ich möchte ungern auf die schmerzhafte Art und Weise herausfinden, dass sie es giftig ist. Wenige Tage später haben mein Bruder und ich kurz vorm Schlafengehen noch eine entdeckt, die allerdings nicht ganz so groß war. Es ist seltsam, dass ich die Spinnen nicht in den ersten vier Wochen gesehen habe.
Vielleicht liegt das an dem Wetterumschwung, der stattgefunden hat. In dem ersten Monat hatten wir täglich um die 35°C und dann plötzlich wurde es von einem Tag auf den anderen knapp 20 Grad kälter. Bei siebzehn Grad Celsius, Wind und Regen sah man die Menschen auf der Straßen in Winterjacken, Pullovern und langen Hosen. Auch wenn man sich in Hamburg gerne mal über dieses Wetter beschwert, hier gab es für mich nach dieser extremen Hitzewelle nichts Schöneres! Meine Gastmutter meinte, dass ihr kalt werden würde, wenn sie mich bei den Temperaturen in kurzer Hose und T-Shirt sehe. Das nimmt ja immer mehr Formen von zu Haus an. Es blieb fast die ganze Zeit so „kalt“ und nass. Doch seit gestern herrschen wieder Temperaturen von um die 30°C. Was ist nur verkehrt hier? Wir haben Oktober, aber das kann kein typisches Herbstwetter sein!
Bei den Chinesen gibt es irgendwie kein gutes Wetter. Ständig sind sie am jammern. 24 Grad und Wolken ist „sehr kalt“, aber wenn sich dann die Sonne blicken lässt, ist es „sehr heiß“. Das scheint auch kein regionaler Einzelfall zu sein, denn mein Freund Erik, der in Jiamusi (Nordchina) ist, hat das gleiche bemerkt. Das spricht gegen das Vorurteil, dass Chinesen immer glücklich sind, egal welches Wetter herrscht.
Zeit für Vorurteile. Fange ich mal mit dem wohl bekanntesten der Welt an:
„Chinesen essen Hund.“ Ich habe gehört, dass es wirklich Gegenden gibt, in denen Hund gegessen wird, allerdings bin ich hier noch auf keinen Hund süß-sauer gestoßen. Mein Freund Bart meinte, seine Tante wolle kommen, um Hund zuzubereiten, was dann aber doch nicht passiert ist. So gesehen isst man hier Hund, jedoch ist der Belgier ein kleiner Schnacker. Das Vorurteil bleibt demnach weiter offen.
„Chinesen sehen alle gleich aus.“ Das stimmt natürlich nicht. Doch für jemanden aus Deutschland, Europa oder dem Rest der westlichen Welt mag das zuerst so aussehen, denn jeder hier hat schwarze Haare, einen ähnlichen Hauttyp und dunkle Augen. Manchmal sieht die dunkelbraune Iris schon eher schwarz aus und es ist äußerst schwer die Pupille zu entdecken. Es gibt weder blond-, braun- noch rothaarige, zudem sieht man keine „weiße“ und keine „dunkle“ Haut, nur die der Chinesen. Die Menschen auf der Straße haben eine deutlich größere Ähnlichkeit auf den ersten Blick als die in Deutschland, aber halt auch nur auf den ersten Blick.
„Chinesen sind gelb.“ Bisher habe ich noch keine gelben Chinesen gesehen, alle sind eher gut gebräunt. Vielleicht werden sie ja im Winter gelb, aber das bezweifel ich eher.
„Chinesen sind klein.“ Es gibt hier durchaus große Chinesen, die1,90 bis 2 Meter messen, das ist jedoch die absolute Ausnahme. Wenn ich im Bus stehe, kann ich normalerweise über die meisten Köpfe hinweg gucken und die Griffe zum Festhalten wackeln mir vor dem Gesicht herum. Bei uns in der Stufe sind wir Ausländer deutlich die Größten. Und ich bin keinesfalls ein Riese mit meinen 179 cm. Allerdings ist China nicht gerade klein und es gibt bestimmt Größenunterschiede in den verschiedenen Ecken des Landes. Ich hörte, dass sie in Nordchina größer sein sollen. Bei Gelegenheit werde ich mal Erik, wir sind ungefähr gleich groß, fragen, wie es bei ihm im kalten Norden aussieht.
In meiner Schule bzw. der ganzen Stadt ging vor knapp zwei Wochen die sogenannte „Rote-Augen-Krankheit“ um. Man bekommt rote, tränende Augen und es ist hoch ansteckend. Es wird sogar gesagt, dass man sie schon bekommt, wenn man einem infizierten Menschen nur in die Augen guckt. Falls das stimmen sollte, dann wirkt es jedenfalls nicht bei Ausländern. Abgesehen von den roten Augen weiß ich nicht, was weitere Folgen der Krankheit sind. In unserer Klasse waren von sechzig Schülern nur noch rund zwanzig anwesend. Ein komisches Bild und wenn ein Chinese in der Schule fehlt, dann heißt das schon was, denn er verpasst wichtigen Stoff.
Man sieht mehrmals am Tag die „Forced Armed Esort“. Es sind gepanzerte Ford Transit, mit bewaffneten Insassen, die die Banken abfahren. Ein Geldtransporter. Die Männer in den kugelsicheren Westen und Helmen sehen jedoch etwas lächerlich aus. Ich kenn mich nicht mit Waffen aus, doch wenn sie wirklich einmal schießen müssten, würden sie wahrscheinlich durch den mächtigen Rückstoß auf den Rücken geworfen werden. Die meisten sind eher schmächtig gebaut und verschwinden in ihrer Uniform. Wie ich vor einigen Tagen sehen konnte, rechnen sie wohl auch nicht mit einem Überfall und sind eigentlich nur Attrappen. Ein uniformierter Mann legte seine Schusswaffe auf seinen beachtlichen Bierbauch und hatte zwischen den Fingern, mit denen er im Notfall schnell zum Abzug greifen sollte, einen Kugelschreiber. Das ist also die Bereitschaft eines chinesischen Sicherheitsdienstes.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass bei kleinen Fischen fast alles und Garnelen alles gegessen wird. Es bleibt lediglich der Fischkopf auf dem Tisch liegen, sonst wird alles verzehrt. Bei den Gräten muss man halt etwas intensiver kauen, genau wie bei der Schale der Garnelen. Vor kurzem kamen auch Schweinefüße und –kopf auf den Tisch. Die Füße bestehen eigentlich nur aus Fett uns schmecken deshalb etwas langweilig. Den Schweinekopf kann man schwer beschreiben und ich hab auch bewusst nicht hingeguckt, was man mir in die Schale geworfen hat. Es war ein relativ zartes Fleisch, doch um ehrlich zu sein, habe ich mir vorgestellt wie gerade ein Steak gebraten wurde. Bloß nicht den Kopf im Topf angucken und drüber nachdenken, auf was du herum kaust. Der Trick hat bestens funktioniert, allerdings möchte ich seitdem ein Steak.
Das Moon Cake Festival ist nichts Besonderes. Man hat es nur an den ganzen Mondkuchen und den unglaublichen Heerscharen auf den Straßen gemerkt. Wirklich überall waren Menschen und liefen mit den roten Kartons herum. Das Gebäck gehört nicht wirklich zu meinen Lieblingsspeisen. Es ist liegt sehr schwer im Magen und mehr als einen kann man nicht essen, wenn man etwas gefunden haben sollte, das einem schmeckt. Ich habe welche mit Fleisch, Ei, Erdbeeren und Bohnen probiert, doch nichts davon beeindruckte meine Geschmacksknospen. Unter uns Ausländer ist die Italienerin die einzige, die Mondkuchen mag. Fast täglich bekam sie all die Kuchen, die uns unsere Familien gegeben hatten. Allerdings sind sie seit dem Ende des Festes wie vom Erdboden verschwunden. Gut so.
Die Musikgeschäfte sind nicht unbedingt auf dem neusten Stand, jedenfalls nicht, was die westliche Musik angeht. Rudebox von Robbie Williams ist noch eines der neueren Werke. Ansonsten findet man neben Britney Spears Westlife, Take That und die Backstreet Boys.
Die DVDs sind allerdings relativ neu. Ich habe mir dort erst mal „The Hangover“ für 20 Yuan gekauft und ihn 5-mal in fünf Tagen gesehen. Der erste englische Film, den ich seit über einem Monat sehen konnte.
Ein Fernsehteam eines lokalen Senders war bei uns in der Schule, um über die Ausländer zu berichten. Wir mussten uns, wie schon am ersten Schultag, kurz selber vorstellen und dann Fragen beantworten. Es wirkte alles etwas unprofessionell, aber was sollte man auch erwarten. Der Beitrag war ungefähr fünf bis zehn Minuten lang und jetzt kennen uns noch mehr Menschen in der Stadt. Mittlerweile sind wir wahrscheinlich schon kleine städtische Berühmtheiten.
Letztens ist ein kleines Mädchen schreiend zu ihrer Mutter gelaufen, als sie mich gesehen hat und ein Baby hat angefangen zu weinen. Da geht einem schon der Gedanke durch den Kopf, ob man sich hier jemals heimisch fühlen wird. Nach einem Jahr in den USA oder ähnlichem hätte ich keine Zweifel daran, aber hier wird es auch noch nach zehn Monaten mehr als genug Menschen geben, die mich entsetzt auf der Straße angucken. Wenn ich nach der Schule meinen täglichen Weg nach Hause antrete, ist es fast wie daheim. Immer derselbe Weg, ich sehe teilweise dieselben Leute und alles kommt mir vertraut vor. Doch dann blicke ich in die Gesichter der mich umgebenen Menschen und werde ganz schnell auf den Boden der Realität zurückgeholt. Was macht denn der Ausländer hier? Guck mal Mama der Ausländer! Der Ausländer hat ja gelbe Haare! Ich habe schon von Chinesen geträumt, die Fotos von mir machen wollen. Es ist halt etwas anderes, ob man in die USA oder nach China geht. That’s really something!
Letzte Woche war für drei Tage ein Sportsmeeting in unserer Schule. Die Klassen haben in allen möglichen Disziplinen der Leichtathletik gegeneinander gekämpft. Ein Chinese aus unserer Klasse, Tashi aus Taiwan, ich und Bart aus Belgien sind in dieser Reihenfolge die 4×400 m Staffel für unsere Klasse gelaufen. Wir sind zwar auf dem ersten Platz gelandet, doch das eigentliche Resultat war, dass ich hier dringend einen Sport finden muss. Leider waren wir erst am letzten Tag etwas in die Wettkämpfe integriert und alle Sportarten auf die wir uns gefreut hatten, waren schon vorbei. Wie haben alle das Gefühl, dass wir Ausländer der Schule eigentlich relativ egal sind. Der „Chinesischunterricht“ findet mal statt und ein anderes Mal wieder nicht. Wenn er dann mal ist, ist er meistens nicht sehr hilfreich. Anstatt uns am Anfang mit Sachen vertraut zu machen, die wir im Alltag brauchen, müssen wir Gedichte auswendig lernen. Manche von denen sind sogar in altem Chinesisch, das heißt die Wörter werden heute gar nicht mehr benutzt. Jeder in unserer Ausländerklasse ist äußerst skeptisch was das Erlernen der Sprache in zehn Monaten angeht. Im Leben zu Hause lernen wir täglich mehr als in der Schule, doch können das nicht schreiben. All das, was wir an Chinesisch sprechen, wussten wir entweder schon vorher oder haben es hier irgendwo aufgeschnappt. Es war noch nicht ein nützliches Wort aus dem Unterricht dabei. Ich habe von anderen Austauschschülern gehört, dass sie jeden Tag Sprachunterricht haben, manche sogar Einzelstunden. Vielleicht wird es ja die nächsten Wochen besser, denn unsere Gastfamilien haben sich bei der Lehrerin über die Unregelmäßigkeit beschwert. Sie ist alles andere als beliebt bei uns. Vor kurzem wollte sie uns sogar schon nach Hause in unsere Länder schicken, weil wir 16 bis 18-jährigen nach der Schule am befestigten Flussufer waren. Sie scheint ja richtig Spaß am Arbeiten mit Ausländern zu haben.
Vom 1. bis zum 7. Oktober haben wir schulfrei, allerdings müssen wir danach von Freitag bis Freitag zur Schule kommen, weil wir so lange frei hatten. Da wir fünf freie Schultage hatten, müssen wir jetzt acht Tage ununterbrochen zur Schule kommen. Das ist mal wieder ein Musterbeispiel für unsere Lehrerin! Ich glaube mindestens jeder Schüler kann an diesem Beispiel nachvollziehen, wie beliebt sie bei uns ist.
Am ersten Oktober sind wir zum ersten Mal mit Chinesen unterwegs gewesen. Zuerst ging es in die Berge, danach hatten wir ein von Wasabi geprägtes Barbecue und schlussendlich landeten wir in einer Karaoke Bar. Das war auf jeden Fall mal was anderes und durchaus amüsant. Es waren Schüler aus unserer Parallelklasse, die ganz cool drauf sind. Normalerweise sind alle in unserem Alter etwas zurückgeblieben, aber die waren relativ normal.
Immer wenn ich am Fluss oder an dem riesigen See in der Nähe der Stadt bin, fühle ich mich pudelwohl. Dort ist es windig, dort ist es nicht so warm, dort ist Wasser, dort ist es perfekt für einen Hamburger Jung! Es ist wirklich erstaunlich wie frei ich den Kopf bekomme und wie erholt ich mich danach fühle.
Sagt mal, habe ich es richtig im Kopf, dass die Schale von Mandarinen in Deutschland orange ist? Denn hier ist sie grün und manchmal teilweise etwas gelblich. Orange kommt mir momentan so extrem unnatürlich vor, deswegen bin ich mir nicht sicher, ob mir mein Erinnerungsvermögen einen Streich spielt.
Ich habe mir vor einiger Zeit endlich eine neue Digitalkamera gekauft. Unter einem Vorwand musste ich das Haus verlassen, denn meine Gastmutter wollte einen Teil bezahlen. Doch als sie mir erzählte, dass mein Gastbruder 300.000 Yuan aufbringen müsse, wenn er ein Jahr in die USA oder nach Deutschland gehen wolle, nannte sie mir auch ihr Einkommen. Sie ist Lehrerin, aber selbst wenn hinter ihrem Gehalt Euro statt Yuan stehen würde, wäre es weniger als in Hamburg und man muss den Wechselkurs von 1:9 im Kopf behalten! Deswegen wollte ich natürlich nicht, dass sie sich auch noch an der nicht ganz billigen Kamera beteiligt. Ich mache zwar schon fleißig Fotos, allerdings kann ich, solange wir keinen festen Internetanschluss haben, keine Bilder verschicken. Wenn wir Internet haben, werde ich ein paar Bilder in den Blog stellen lassen, dann habt ihr einen kleinen Einblick, wie es hier so ist.
Falls jemand von euch meine chinesische Adresse haben möchte, soll er sich an mich oder meine Mutter wenden. Die Adresse ist zwar auf Chinesisch, aber ausgedruckt und aufgeklebt ist das gar kein Problem.
Das war es dann auch schon wieder mit diesem Bericht aus Jiujiang. Genießt euer kühles Hamburger Schietwetter, denn 30 Grad im Oktober sind alles andere als schön!
Liebe Grüße aus dem seltsamen, fernen Osten.
Euer Joshy! J
Montag, 20. September 2010
20.09.2010 Neues von Joshy
Moin!
Es ist jetzt genau einen Monat her, dass ich das wunderschöne Hamburg über Frankfurt nach Beijing verlassen habe. Deutsche Weltstadt gegen chinesisches Kaff mit 4,6 Millionen Einwohnern.
Wie mir zu Ohren gekommen ist, hat einigen Daheimgebliebenen mein erster Eintrag gefallen. Puh, hoffentlich wird der zweite Bericht unter diesem Leistungsdruck kein Flop. ;-)
In den letzten dreizehn Tagen ist wieder so einiges passiert. Wir haben unsere Schuluniformen bekommen. Wenn man an eine Schuluniform denkt, hat man die Bilder aus den amerikanischen Filmen im Kopf. Weißes Hemd und dunkelblaue, gebügelte Hose für die Jungen und weiße Bluse mit kariertem Rock für die Mädchen. Natürlich nur die beste Qualität. Doch wenn man mit diesen Hoffnungen nach China kommt, wird man bitter enttäuscht werden. Ein Wort: Trainingsanzug! Die Beine bekleidet eine graue, meist zu große Trainingshose und für den oberen Körperteil gibt es eine weiß-gelbe Trainingsjacke. Auch wenn die Ärmel von drei Streifen geziert werden und auf der Vorderseite groß „SPORTS“ steht, ist der Anzug alles andere als atmungsaktiv. Das ist die Winteruniform, wird aber trotzdem im Sommer getragen. Es gibt auch eine für die warme Jahreszeit, aber die muss für uns männlichen Ausländer noch um geschneidert werden. Es kam schon extra ein Mann mit Maßband in die Schule und hat uns rundum vermessen. Die Sommeruniform ist eher an das gängige Bild einer Schuluniform angepasst. Weiße Hemden für Jungen und Mädchen und eine dunkelblaue Hose bzw. ein karierter Rock. Die Hosen sind so komisch geschnitten, dass ich sie wahrscheinlich am Bund sprengen werde, denn es wurde kein Maß für die Hose genommen. Ich hab die Sommerhose, die trotzdem lang ist, von einem Klassenkameraden im normalen Zustand angeguckt. Es würde höchstens mein Oberschenkel durch passen. Na ja, man wird es sehen. Die Röcke überstehen glaube ich nicht ein ganzes Schuljahr. Die Qualität lässt bei allen Kleidungsstücken für einen Mitteleuropäer doch schwer zu wünschen übrig.
Mittlerweile habe ich mich an nahezu alles gewöhnt. In den Betten schlafe ich so gut wie zu Hause in Hamburg. Die „Matratze“ würde in Deutschland als „Sommerdecke“ durchgehen und beim Lattenrost sind die Bereiche ohne Holz schwer zu finden. Man liegt eigentlich direkt auf dem harten Naturprodukt. In den ersten Tagen konnte ich kaum schlafen, doch ich habe immer zurückgedacht. An Victoria, die australische Austauschschülerin, welche ich in Beijing kennengelernt habe. „Meine Mutter hat gesagt, dass wenn ich hier etwas nicht mag, soll ich es zwei Wochen lang probieren. Wenn ich es dann immer noch nicht mag, ist es okay.“ Es hat bei mir zwar eher zweieinhalb bis drei Wochen gedauert, aber ihre Mutter hatte recht. Ich hab mich in der Zeit an so gut wie alles gewöhnt, sogar die an Laktose arme Milch ist jetzt nicht mehr ungenießbar.
Als ich Mitschüler gefragt habe, wie kalt es denn im Winter werden würde, war ich durchaus positiv überrascht. Ich hatte mit 10-15°C gerechnet, schließlich sind wir ungefähr auf einem Breitengrad mit Kairo. Doch als ich -4 bis 2 Grad hörte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Es soll sogar Schnee fallen, hat mir einer der beiden deutschen Lehrer erzählt. Ihr Vorgänger hat sich nämlich den Fuß gebrochen, weil hier nicht gestreut wird. Das ist zwar nicht so schön, aber für einen Menschen wie mich, der lieber -20 anstatt +30°C hat, ist es die beste Nachricht, seitdem ich hier bin.
Wie ich schon geschrieben habe, war letzte Woche von Montag bis Donnerstag dieses „Military Training“. Nach dem ersten Tag hat kein Ausländer mehr mitgemacht. Wir saßen jeden Tag im Klassenraum, haben geredet und uns gelangweilt. Irgendwann sind Bart, der Belgier, und ich auf die Idee gekommen, Kreide in den Deckenventilator zu werfen. Was für ein Spaß, weil man nie weiß, wo sie hinfliegt. Aber selbst das wird nach einiger Zeit langweilig und man muss jedes Mal durch den Klassenraum gehen und die Kreide einsammeln.
Wie jeder weiß, ist so gut wie alles „Made in China“. Ich sitze also direkt an der Quelle. Wenn jemand ein brandneues Produkt, das bei uns noch nicht auf dem Markt ist, haben möchte, soll er sich melden. Da wäre zum Beispiel ein schwarz-gelbes Poloshirt von Kappa. Auf dem Rücken steht in großer Schrift „Borussia Portmund“, ein absolutes Muss für jeden Borussia Portmund-Fan. Das habe ich in Deutschland noch nicht mal im Ruhrpott gesehen. Oder wie wäre es mit einem Dolce&Gabba Shirt in lila? Wenn ihr nicht so auf Textilien abfahrt, gibt es auch neue Elektronik. Ein schönes, schlichtes, weißes Handy von Scny Eriossonn hätte ich im Angebot. Allerdings müsste ich erst meinen Klassenkameraden fragen, wo man es kaufen kann. Doch in der PC-Mall unter der städtischen Bibliothek habe ich eine Neuentdeckung gemacht. Apple scheint etwas neues ‘rausgebracht zu haben. Der i-dop sieht zwar aus wie ein „classic“, kann aber bestimmt noch mehr. Also bei Interesse meldet euch.
Eine Sache ist hier sehr entspannt im Vergleich zur Heimat. Der Umgang mit Schweiß. Wenn man bei uns beispielsweise in der Klasse sitzt und schwitzt, wird man gleich mit leicht angewidertem Blick angeguckt. Hier ist es das normalste der Welt, denn es ist natürlich! In der Klasse schwitzt jeder, auf der Straße schwitzt jeder, überall wo man hingeht schwitzen die Leute und keiner würde auch nur auf die Idee kommen etwas zu sagen. Wieso denn auch? Das ist als würde man bei uns jemanden verwirrt darauf ansprechen, dass er im Winter eine Mütze trägt. Es ist völlig normal!
Für uns nicht ganz normal sind die Straßenhunde hier. Sie sind überall und man hat manchmal das Gefühl, dass sie kurz davor sind, einem ins Bein zu beißen. Wer weiß, was die alles für Krankheiten haben. Vor einigen Tagen habe ich einen Hund von vorne gesehen. Als ich das Gesicht sah, hatte ich sofort das Bild dieser Hunderasse im Kopf. Den Namen kannte ich zwar nicht, aber sie sind immer so 25-30 cm hoch und 50 lang. Doch als sich der Hund umdrehte, fiel mir die Kinnlade herunter. Er war bestimmt 80 bis 90 Zentimeter lang. Also ich weiß ja nicht wer bei diesem Tier Vater und Mutter sind, aber irgendetwas ist da nicht ganz normal verlaufen.
Ständig hört man irgendwo Feuerwerkskörper laut und lange knallen, wenn Baustellen eröffnet werden und bei vielen anderen Sachen. Nicht zu vergleichen mit den kleinen Böllerchen an Sylvester in Deutschlands Straßen. Ich kann das chinesische Neujahrsfest kaum erwarten. Wahrscheinlich höre ich danach erst mal einen Monat nichts mehr. Ich denke mal, dass das böse Geister vertreiben soll oder so ähnlich.
Die spannendsten und besten Geschichten schreibt das Leben. Das weiß jeder. Doch hier wird das wohl etwas zu wörtlich genommen. Als ich vorgestern am Abend spazieren gegangen bin, hörte ich schon von weitem Geschrei. Eine kleine Straßenhändlerin hatte sich mit ihren Sachen vor einem Geschäft niedergelassen. Das passte der Besitzerin des Ladens ganz und gar nicht. Sie brüllten sich minutenlang an. Ich hatte schon die Befürchtung, dass sie sich gleich an die Kehle fallen und eine höhere Gewalt eingreifen muss. Das ist ja nicht so besonders, aber um die beiden Frauen herum standen im Abstand von zwei Metern mindestens 30 Menschen und guckten zu. Sie standen einfach nur da, tranken ihr Wasser bzw. aßen ihre Melone und genossen das Schauspiel. Die paar Lebensmittelhändler in der Nähe der Menschenmenge machten wahrscheinlich das beste Geschäft der Woche. Ich mag ja ein spießiger Deutscher sein, aber ich finde nicht, dass das die feine englische Art ist.
Bisher gab es noch keine weiteren „ungewöhnlichen“ Speisen. Allerdings habe ich in einer Straße, die jeden Tag wie ein Markt ist, zwei Sachen gesehen. Ein Tier will ich auf keinen Fall essen und das andere würde ich schon ganz gerne mal probieren. In einem Käfig lagen zwei Schlangen. Für eine sollte der Ausgangspreis bei 45 Yuan liegen. Arianna, die Italienerin, Bart und ich haben sofort nachgefragt. Doch im Käfig darunter konnte ich zuerst meinen Augen nicht trauen. Zwei Igel hockten dicht aneinander in einer Ecke des Gefängnisses. Ich hoffe nur, dass man mir das Gericht nicht vorsetzen wird, denn das muss wirklich nicht sein!
Es gibt hier erst zwei Dinge, die ich nicht mag. Zum einen ist es ein Brei, den es manchmal zum Frühstück gibt. Irgendein schwarzes Pulver aus Getreide oder ähnlichem wird mit viel Wasser verdünnt. Das trifft nicht wirklich meinen Geschmack, genau wie der heiße Saft aus gelben Bohnen. Ich bin mir nicht sicher, ob es Bohnen oder Erbsen sind, aber mein Gastbruder meinte, es sei „Yellow bean juice“. Allerdings stellen sich mir die Fragen: Reichen seine Englischkenntnisse für die Unterscheidung und unterscheiden die Chinesen überhaupt zwischen Bohnen und Erbsen? Schließlich ist eine Schildkröte auch ein Fisch, denn sie schwimmt im Wasser.
Es sind überall Mücken. Wenn ich abends aus dem Haus gehe oder in meinem Zimmer das Licht anmache, komme ich um Stiche nicht herum. Bevor sie verschwunden sind, habe ich schon wieder neue. Allerdings jucken sie komischerweise nicht so sehr.
In meiner Gastfamilie hat definitiv meine Mutter die Hosen an. Mein Vater gibt meistens klein bei oder geht weg und denkt sich seinen Teil. Ich verstehe ja nicht was sie sagt, aber ihr Tonfall ist alles andere als freundlich. Zwei Sachen gefallen mir in meiner Gastfamilie nicht so wirklich. Da wäre meine Mutter. Sie spricht häufig sehr laut. Die Chinesen sind generell lauter als wir, aber das ist echt extrem. Wenn ich im Auto neben ihr sitze und sie telefoniert muss ich mir manchmal wirklich die Ohren zu halten. Das kann man sich nicht vorstellen. Das andere sind die Tischmanieren meines Bruders. Klar ist das hier alles etwas anders im Vergleich zur westlichen Welt, aber wenn man ihm beim Essen zuguckt, kann einem schon mal der Appetit vergehen. Der Mund wird so voll gestopft, dass sich die Lippen nicht mehr berühren und dann versucht er auch noch zu sprechen. Da kann es schon mal passieren, dass sich der Reis auf dem gesamten Tische Stück für Stück verteilt. Häufig führt er die Stäbchen oder die Schüssel gar nicht erst zum Mund, sondern legt den Kopf quasi in das Schälchen. Und dann wird geschaufelt. Das machen meine Gasteltern auch, aber halbwegs lautlos. Er atmet den Reis schon fast ein, natürlich bis der Schlund randgefüllt ist. Am schlimmsten ist es, wenn wir Reisschleim essen, dann hört man ihn durch die ganze Wohnung!
Es ist erschreckend, was ich hier von Unwissenden über Deutschland höre. Ein Austauschschüler aus Taiwan hat mich doch tatsächlich gefragt, ob wir Hitler als einen Helden verehren und immer noch salutieren. Ich war erst mal perplex und wusste nicht, was ich tun sollte. Die beiden anderen Europäer und ich haben ihm dann einen Kurzüberblick über die Vorgeschichte und den Krieg gegeben. Das hatte er so nicht erwartet. Als wir zum ersten Mal Chinesisch hatten, sollten wir der Lehrerin etwas über unser Land erzählen. Ich fing damit an, dass ich im Norden wohne. Da fragt mich unsere Lehrerin doch ernsthaft, ob ich im Westen oder Osten des geteilten Deutschlands lebe. All dieses Halbwissen ist erschreckend.
Am Freitag war ein Fernsehteam in unserer Schule. Wir mussten in einem Raum, der wie ein Universitätshörsaal aussah, eine kleine Rede halten und einen Text vorlesen, selbstverständlich auf Chinesisch. Die kleinen Selbstbeschreibungen sahen bei allen ähnlich aus. Herkunft, Name, chinesischer Name und Alter. Die Texte waren über chinesische Feste. Die beiden deutschen Lehrer aus Berlin waren auch da. Nach unseren Reden und den von besonders guten chinesischen Schülern wurden einige von uns noch in dem vollen Hörsaal interviewt. Jede Aufregung vor einem Referat in der Schule ist nichts dagegen. Wie immer ging bei meinem Alter ein ungläubiges Raunen durch das Publikum. Niemand glaubt mir, wenn ich sage, dass ich 16 Jahre alt bin. Die deutschen Lehrer dachten, ich sei 18, was ja noch relativ nah dran ist, aber die Chinesen haben mich bis jetzt alle auf 21 bis 25 geschätzt. Sie können uns nicht einschätzen und wir sie nicht. Wenn ich eine Chinesin auf der Straße sehe, die aussieht wie 20, kann ich davon ausgehen, dass sie 28-35 ist.
Am gestrigen Morgen wurde ich von einer Sirene geweckt. Ich dachte zuerst, dass es eine Feuerübung der Grundschule sei, aber nirgends waren Kinder. Alle Menschen waren so wie immer. Die Sirene erinnerte mich eher an die aus dem zweiten Weltkrieg, welche mitten in der Nacht losgingen, wenn alliierte Flugzeuge gesichtet wurden. Es war ein seltsames Gefühl, denn nach einigen Minuten verstummten sie und fingen kurze Zeit später wieder an. Außerdem war ich allein zu Haus und konnte niemanden fragen, was los ist. Ich werde nächste Woche mal in der Schule ‘rumfragen, vielleicht kann mir da ja jemand weiterhelfen.
Falls es da draußen Leute geben sollte, die denken „Oh man wieso meldet der sich denn nicht?“, schreibt mich am besten an. Wenn ich ins Internet kann, dann reicht die Zeit meistens nur, um Mails zu beantworten, nicht aber um mir Gedanken darüber zu machen, wem ich noch schreiben könnte.
Das war es dann auch schon wieder mit Blogeintrag Nummer 2. Er ist tatsächlich noch länger als der erste. Nach drei Stunden bin ich jetzt todmüde und gehe schlafen. Ich denke, dass der Bericht spätestens morgen online ist. Hoffentlich hat euch auch der zweite Beitrag gefallen, wenn ja, erzählt es gerne weiter.
Liebe Grüße aus einem der fernsten Länder für einen Deutschen.
Euer Joshy! J
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Montag, 13. September 2010
13.09.2010 Neues direkt aus China
Hey Ladies!
Ich hab meinen Stecker in eine Steckdose bekommen, das heißt ich kann meinen Laptop laden und einen Blogeintrag verfassen! J Da ich überhaupt keine Ahnung habe, was meine Mutter bisher so reingeschrieben hat erzähle ich einfach mal ein bisschen.
Die Stadt hier heißt Jiujiang und hat insgesamt rund 4.600.000 Einwohner. Von frischer Seeluft kann ich nur träumen. Wir liegen ziemlich weit im Land drin. Ihr könnt den Stadtnamen ja mal googlen oder so. Von Reichtum ist die Gegend hier nicht gerade geprägt, wenn man sie mit Hamburg oder Deutschland generell vergleicht. Entsprechend niedrig sind die Lebenshaltungskosten. Der Bus kostet gerade mal 1 Yuan, 550 ml eiskaltes Wasser 1,50 und ein Abendessen im Restaurant für vier Personen 40-50 Yuan, inklusive Getränke. Der Wechselkurs liegt bei 1:9, 1 Euro entspricht 9 Yuan. Ich werde die Preise immer nur in Yuan angeben, ihr könnt euch dann selber ausrechnen wie viel das wäre. ;-)
Meine Gastfamilie ist superfreundlich! Die Eltern sprechen nicht ein Wort Englisch und der Sohn auch nur schlecht. Ganzkörperverständigung ist also angesagt. Klappt auch ganz gut bei den wichtigen Sachen. Essen, Trinken, Duschen, Schlafen. Die haben zwei Wohnungen, hört sich erst mal phänomenal an, aber wir sind hier in China. Das „new house“ ist ein relativ großes Apartment. Ich bin ganz gerne dort, weil ich mein eigenes Zimmer habe, die Klimaanlage ständig läuft und hier Dusche und Toilette sind. Weil hier Dusche und Toilette sind? Ja ja ganz recht! Da komm ich gleich zu. Leider ist das neue Haus so weit weg von der Schule, deswegen schlafen wir hier entweder nur am Wochenende oder kommen in der Woche nur zum Schlafen her. Den Tag nach der Schule verbringen wir im „older house“. Die kleine spartanische Wohnung liegt auf dem Gelände der Schule meiner Gastmutter. Sie ist Lehrerin und alle Angestellten haben dort eine kleine Bleibe. In den vier Wänden teil ich mir mit meinem Gastbruder ein Doppelstockbett. An den Wänden ist ab und zu ein bisschen Schimmel und Dreck, aber soweit ich weiß, ist hier noch keiner gestorben. Kommen wir zu den sanitären Einrichtungen. Die Dusche ist ein Wassereimer mit Schlauch und Kelle, außerdem „duscht“ man sich über dem Klo. Das „Klo“ ist ein Loch im Boden mit zwei Trittflächen für die Füße. Es ist, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig. Der Satz meines belgischen Freundes Bart trifft es immer wieder. „That’s really something.“ Ob das grammatikalisch hundertprozentig einwandfrei ist, weiß ich nicht, aber irgendwo passt es wie „Arsch auf Eimer“! Den Spruch hat er auf der Hinfahrt mit dem Zug gebracht, als er aus dem Fenster geguckt hat. Man kann einfach nicht beschreiben, wie es hier ist. Es ist halt etwas.
Nun zur Umgebung. Wenn ihr es euch auf einer Karte oder im Internet anseht, dann werdet ihr bemerken, dass hier ziemlich viel Wasser ist. Viele Seen und Flüsse. Wie sauber doch unsere Elbe ist! Im Norden, Süden, Osten oder Westen ist ein Nationalpark mit Bergen und Wäldern. Der Weg den „Lushan“ hoch ist von einer Treppe geprägt. Die Stufen bilden abgeflachte, große Steine. Ein ganz schöner Akt für einen Hamburger Jung! Die Natur ist atemberaubend. Alles ist so viel größer als in Hamburg. Die Libellen, die Schmetterlinge sogar die Ameisen. Am Wegesrand und überall um einen herum wächst Bambus. Ab und zu kreuzt ein kleiner Gebirgsbach den Weg und wird gerne als Erfrischung genutzt. Meine Familie geht da jedes Wochenende hin und wandert. Na ja, das bleibt mir wohl nicht erspart, aber die Natur ist es immer wieder wert. Wie hoch der Berg ist, weiß ich nicht genau. Ich hab etwas von 1800 Metern im Kopf, aber ich kann mich irren.
Das Klima ist eher medium-geil. Am Anreisetag hatten wir um die 45°C, so ein Wetter liebt der Joshy – Nicht! Normalerweise haben wir hier 35 Grad und es ist eigentlich windstill. Die Sonne scheint zwar, jedoch sieht man sie durch den Smog, der über der Stadt hängt nicht. Genauso ist es mit dem „blauen“ Himmel und den Sternen. Ventilatoren und Schweiß laufen eigentlich 24 Stunden am Tag. Ich befürchte, dass ich zu wenig Deodorant mitgenommen habe.
Anpassungsfähig muss man sein, wenn man hier nicht verhungern will. Zu jeder Mahlzeit gibt es natürlich Reis und dann stehen immer unzählige Schälchen mit irgendetwas auf dem Tisch. Mal ist es Tofu, dann Hühnchen und ein anderes Mal ist es etwas, was mein Gastbruder nicht übersetzen kann, also unbekannt. So viele seltsame Sachen musste ich hier noch gar nicht essen. Es waren erst drei Gerichte, die man bei uns normalerweise nicht bekommt. Gegrillte Hühnerfüße (oder etwas größeres), Schildkröte und Frösche. Froschschenkel kennt man ja vom Hören aus Frankreich, aber die essen den kompletten Frosch. Hier wird generell alles gegessen. Es sind immer Knochen im Spiel, die in den Mund gesteckt und abgeknabbert werden. Mit Stäbchen versteht sich! Beim Essen darf man nicht nachdenken. Der Schildkrötenkopf auf dem Tisch guckt nicht in deine Richtung und die Hühnerfüße sind nicht den ganzen Tag durch Exkremente gelaufen. Alles ist extrem. Entweder ist es furchtbar süß oder unglaublich scharf. Chilischoten sind überall zu finden und daran wird auf keinen Fall gespart. Milch, die arm an Laktose ist, ist eher nicht so lecker. Dafür ist sie mit ordentlich Zucker angereichert, wie so vieles. Auf den Saftflaschen wird mit 30% Fruchtgehalt geworben, so schmeckt es auch. Irgendwie ist alles künstlich und zu süß. Na ja, das Wasser ist ganz gut.
Es wird hier nur chinesische Musik gehört. Mal kommt aus einem Geschäft „Just Dance“ von Lady GaGa oder ein Song der Backstreet Boys. Nicht das allerneuste der westlichen Welt läuft hier. Den Schock habe ich im Auto bekommen. Das Radio läuft und ich achte zuerst gar nicht drauf, doch irgendwann bemerke ich es. Als ich die Worte „Cherry, cherry Lady“ vernehme. Was soll man 2010 auch sonst für deutsche Musik hören?! Modern Talking ist angesagt. Ach her jemine.
Die Schule ist skurril. Sie ist aufgeteilt in 12-14 und 15-18 Jahre. Unsere Schule ist nicht gerade winzig. Ein Kunstrasenplatz, eine Laufbahn, mindestens 15 Tischtennisplatten, zwölf Basketballplätze und noch so einiges anderes. Außerdem soll noch ein Gebäude gebaut werden, ich hab zwar keine Ahnung, was es ist, aber es sieht verdächtig nach einer Schwimmhalle aus. Das erste Haus wird von einem riesigen Torbogen geziert. Davor steht der Fahnenmast an dem jeden Montag die Fahne zur Nationalhymne gehisst wird. Alle starren uns an und sagen „Hello!“ oder „Hi!“. Mittlerweile ist es etwas nervig. Diese Woche ist irgendetwas mit Militär. Heute war der erste Tag. Alle Klassen meiner Stufe stehen jeweils mit einem Mann in Uniform auf dem Sportplatz und marschieren, drehen sich und schlagen die Hacken zusammen. Ich hab mir erst mal meinen ersten chinesischen Sonnenbrand geholt, und was für einen! Mindestens morgen muss ich nicht mitmachen, sondern darf im Schatten sitzen und zugucken. Ich wollte eigentlich meine Kamera mitnehmen, aber es scheint so, als wäre sie gerade kaputt gegangen. Das Objektiv schließt sich nicht mehr. -.-
Es ist nicht immer toll „prominent“ zu sein, das merkt man hier besonders. Die ersten paar Tage mag es ja ganz lustig sein, dass einen alle angucken, aber es wird anstrengend. Völlig egal wo ich bin, jeder starrt mich an. Kleine Kinder zeigen mit dem Finger minutenlang auf mich, alte Leute kriegen den Mund nicht mehr zu und gucken unfreundlich und alles zwischen alt und jung gafft nur. Die Menschen machen Fotos von mir, zeichnen mich mit in ihre Landschaftsbilder und fassen meine Haut und Haare an. Wie ich es vermisse einfach nur einer von vielen zu sein und in der Menge zu verschwinden. Nur auffallen, wenn man es auch will. Hier kann ich keinen unbeobachteten Schritt machen. Der Ausländer trinkt Sprite, also müssen wir es auch trinken. Oh guck mal der Ausländer kratzt sich am Kopf, vielleicht sollten wir das besser auch machen. Alles so ‘ne Nachmacher hier! ;-/
Der Verkehr ist äußerst, ehm, nennen wir es mal: Anders! Angeschnallt wird sich grundsätzlich nicht. Aber wieso auch, schließlich kommt man nur selten über die magische 50 km/h Marke. Bremsen werden auch eher vernachlässigt, man hat ja eine Hupe. Die Stadt würde ein unglaubliches Geschäft machen, wenn sie für jedes Mal hupen einen Yuan kassieren würden. So, wie ich das bisher einschätzen kann, herrscht hier das Gesetz des Stärkeren. Groß vor klein und wer zögert verliert! LKW -> Bus -> Kleintransporter -> Auto -> Dreirad -> Motorrad -> Motorroller -> Fahrrad -> Fußgänger. So ungefähr sieht die Rangordnung aus. Vielleicht sind Busse auch an erster Stelle, weil die Bremsen meistens nicht mehr wirklich funktionieren. Die Busse werden hier gefahren bis sie auseinanderfallen und dann am liebsten noch weiter. Beim Anfahren ersticken die nächsten drei Autos in einer schwarzen Wolke. Außerdem ist der Bus erst voll, wenn die Menschen wieder herausfallen. Zebrastreifen sind eigentlich nur dafür da, damit der Asphalt nicht so eintönig ist. Passanten müssen die kleinen Lücken zwischen den Autos und Zweirädern abpassen und dann einfach zwischen zwei Spuren stehenbleiben. So kommt man Schritt für Schritt voran. Falls man ganz falsch stehen sollte, bekommt man das akustisch sehr schnell mit. Denn dann geht der Finger nicht mehr von der Hupe ‘runter. Eigentlich ganz einfach.
Ich habe in meinem Zimmer ein Internetkabel gefunden, aber es funktioniert nicht. Mist. Naja ich will auch nicht zu viel deutsche Sprache um mich herum haben. Es ist schon so schwer genug. Den ganzen Tag sich in der Schule auf Englisch unterhalten, versuchen Chinesisch zu lernen und abends auf Deutsch Tagebuch schreiben und möglicherweise Mails beantworten.
Also mehr fällt mir jetzt so spontan auch nicht mehr ein, aber ich denke, ihr habt nun ein kleinen Eindruck von meinem chinesischen Leben. Ich hoffe, dass ich den Bericht am 8. September zu meiner Mama schicken kann, dann müsstet ihr ihn bald lesen können. Ach dabei fällt mir noch ein, dass ich einen chinesischen Namen habe. 曾希,Zeng Xi, lautet er und wird eher ausgesprochen wie „zen(g) chi“. Zeng ist der Familienname meines Gastvaters und Xi soll wohl so etwas wie Hoffnung heißen. Vielleicht, weil meine Gastmutter die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat.
So mehr fällt mir jetzt aber wirklich nicht mehr ein. Mit diesen Worten verabschiede ich mich und hoffe, dass ihr nun etwas schlauer seid. Ich denke täglich an euch alle und vermisse euch. Aber mir geht es trotzdem gut hier. Verzeiht mir, falls ich mich noch nicht persönlich bei euch gemeldet habe, doch ich habe ziemlich viel um die Ohren.
Liebe Grüße aus dem bevölkerungsreichsten Land der Welt.